Neuerscheinung

Wer hat Onkel Harry umgebracht?

Leichen, Mörder, tückische Waffen und modernste Technik: Louis Begleys elfter Roman enthält alle Zutaten für einen guten Krimi. Foto: suhrkamp

Neuerscheinung

Wer hat Onkel Harry umgebracht?

Louis Begley legt seinen elften Roman und ersten Krimi vor

von Reinhard Helling  05.01.2015 17:11 Uhr

Auf Liebe versteht er sich. Das hat der amerikanische Schriftsteller Louis Begley mit fast einem Dutzend Büchern bewiesen, die er nach seinem späten Debüt mit dem Schoa-Roman Lügen in Zeiten des Krieges (1991) publiziert hat. Dabei hat der frühere New Yorker Anwalt alle Spielarten vorgeführt: die aufkeimende Liebe, die erloschene, die gleichgeschlechtliche, die außereheliche und die ausnutzende.

Dass Liebe selten ohne Sex funktioniert, hat er dabei nie verleugnet. Begley genießt es offenkundig, sinnliche Szenen voller Details zu schildern. Ob Der Mann, der zu spät kam (1996), Schmidt (1997), Ehrensachen (2007) oder Erinnerungen an eine Ehe (2013): In all diesen Büchern lässt der Autor seine Helden – heißen sie nun Ben oder Max, Mistler oder Schmidt, seien sie von Beruf Anwalt, Schriftsteller oder Werber – die Liebe wahlweise genießen, an ihr leiden, verzweifeln oder über sie resignieren.

Begley, ein Spezialist für Verluste, Brüche und Fehlentwicklungen, zieht seine männlichen Protagonisten – allesamt Vertreter der Upper Class der amerikanischen Ostküste – durch Wechselbäder der Gefühle und seine Leser damit in den Bann.

albtraum Mal mehr, mal weniger offensichtlich lassen die fiktiven Figuren Parallelen zu Begleys eigenem Leben erkennen. 1933 als Ludwig Beglejter in Polen geboren, überlebte er mit seiner Mutter die Schoa mit falschen »arischen« Papieren. 1946, mit 13 Jahren, wanderte er mit seiner Familie über Frankreich in die USA aus.

In New York, seiner neuen Heimat, lief dann vieles bilderbuchmäßig: Literatur- und Jurastudium in Harvard, fast ein halbes Jahrhundert Partner einer einflussreichen Anwaltskanzlei, Apartment in der Park Avenue, viele Reisen, nach einer gescheiterten Ehe seit 1974 eine glückliche mit der Historikerin Anka Muhlstein, drei Kinder, sieben Enkelkinder, elf Romane, diverse andere Publikationen. Das gute Leben kostet Begley aus, wo immer er sich aufhält – in Manhattan, Paris oder Venedig. Er genießt Kultur in jeder Form und Kulinarisches ausgiebig.

Mit Zeig dich, Mörder, seinem elften Roman, der dieser Tage auf Deutsch erscheint, hat der heute 81-Jährige sich nun erstmals an einen Krimi gewagt und gleich alle Zutaten verwendet: Leichen, Mörder, tückische Waffen und modernste Technik. Auslöser für das Buch, erzählt Begley, war ein grausiger Wachtraum, der ihn ständig heimgesucht habe: Ein bösartiger Fremder dringt in seine Privatsphäre ein, und er ist ihm völlig hilflos ausgeliefert.

Begley hat aus diesen Ängsten eine gewalttätige, schnelle Geschichte zwischen Manhattan und Long Island gemacht. Erzählt wird sie von dem Yale-Absolventen Jack Dana, der zu seiner Berufung als Schriftsteller gefunden hat, nachdem er verletzt von Kriegseinsätzen im Irak und in Afghanistan, wo er als Offizier der Marineinfanterie gedient hatte, nach Hause zurückgekehrt ist. Für Dana war der 11. September 2001 der Tag, »an dem wir angegriffen wurden«; sein Kampfeinsatz ist deshalb selbstverständliche patriotische Pflicht. Doch nun will er sich mit dem Schreiben von Büchern von seinen seelischen Verletzungen kurieren.

genickbruch Aber dazu kommt er zunächst nicht. Denn zurückgekehrt von einer Patagonien-Expedition, findet Jack seinen geliebten Onkel Harry, den einzigen noch lebenden Verwandten, tot in seinem Haus in Sag Harbor auf Long Island – erhängt an einem Scheunenbalken, seine geliebte Katze Plato mit gebrochenem Genick zu seinen Füßen.

Auf den ersten Blick sieht es eindeutig nach Selbstmord aus. Doch daran will Jack nicht glauben. Onkel Harry war Partner der mächtigen Anwaltskanzlei Jones & Whetstone, weder krank noch arm. Als es bei der Abwicklung der Erbschaft Probleme gibt (Harry hat Jack zwei Immobilien vermacht), schaut sich Begleys Held die Kanzlei seines Onkels genauer an.

Bald hat er Abner Brown, einen wichtigen Mandanten und windigen Geschäftsmann, im Verdacht, Harry aus dem Weg geräumt zu haben. Brown ist ein Fiesling und Antisemit dazu. Wie es um sein Weltbild steht, zeigen die Worte, mit denen er Harrys Anwaltskollegin Kerry Black anmacht: »Sie enttäuschen mich. Ich hätte gedacht, alle Jüdinnen aus New Jersey mögen Sex. Ich dachte, Sie blasen mir einen.«

Bald ist Dana klar: Abner Brown ist nicht nur eine miese Type, sondern ein richtiger Verbrecher. Das hatte Onkel Harry herausgefunden, weshalb Brown ihm einen Killer nach Sag Harbor schickte. Diesem Killer will sich Jack nun als Rächer stellen, durchtrainiert, wie er ist, und mit allen Tötungsmethoden aus seiner Ausbildungszeit bei den Marines vertraut. Doch das Rechtssystem der USA sieht einen anderen Weg vor, wie Louis Begley aus seiner langjährigen juristischen Praxis plausibel zu erzählen weiß.

Louis Begley: »Zeig dich, Mörder«. Übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp, Berlin 2015, 302 S., 19,95 €

Premiere

»Übergriffe gegen uns sind mittlerweile Alltag«

Anfeindungen, Behinderungen, Drohungen und Übergriffe: Ein neuer Film dokumentiert die Pressefeindlichkeit bei vielen Pro-Palästina-Demonstrationen in Berlin. Die Journalisten-Union warnt vor den Folgen für die Pressefreiheit hierzulande

von Markus Geiler  28.10.2025

Rotterdam

Unbehagen im Love Lab

Die jüdische Soziologin Eva Illouz ist an der Rotterdamer Erasmus-Universität nicht willkommen. Sie spricht von einer »antisemitischen Entscheidung«, die immerhin demokratisch zustande gekommen sei

von Michael Thaidigsmann  28.10.2025

Berlin

Mascha Kaléko und die Reise ihres Lebens: »Wenn ich eine Wolke wäre«

Elf Jahre nach Kriegsende entdeckte Deutschland seine verlorene Dichterin wieder. Volker Weidermann gelingt ein berührendes Porträt der Lyrikerin

von Sibylle Peine  28.10.2025

Kommentar

Politisches Versagen: Der Israelhasser Benjamin Idriz soll den Thomas-Dehler-Preis erhalten

Wer wie der Imam den 7. Oktober für seine Diffamierung des jüdischen Staates und der jüdischen Gemeinschaft instrumentalisiert, ist eines Preises unwürdig

von Saba Farzan  28.10.2025

Fernsehen

Selbstermächtigung oder Männerfantasie?  

Eine neue Arte-Doku stellt den Skandalroman »Belle de jour« des jüdischen Schriftstellers Joseph Kessel auf den Prüfstand  

von Manfred Riepe  27.10.2025

Stuttgart

»Mitten dabei!«: Jüdische Kulturwochen beginnen

Konzerte, Diskussionen, Lesungen und Begegnungen stehen auf dem vielfältigen Programm

 27.10.2025

Biografie

Vom Suchen und Ankommen

Die Journalistin hat ein Buch über Traumata, Resilienz und jüdische Identität geschrieben. Ein Auszug aus ihrer ungewöhnlichen Entdeckungsreise

von Sarah Cohen-Fantl  26.10.2025

Alina Gromova

»Jedes Museum ist politisch«

Die neue Direktorin des Jüdischen Museums München über ihre Pläne

von Katrin Diehl  26.10.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Herbstkaffee – und auf einmal ist alles so »ejn baʼaja«

von Nicole Dreyfus  26.10.2025