Wuligers Woche

Welche Farbe haben Juden?

Foto: Getty

Ferda Ataman meint es bestimmt gut. Die Spiegel-Online-Autorin, die zu Anfang ihrer journalistischen Karriere vor 13 Jahren auch ein paarmal in dieser Zeitung publiziert hat, will nach Halle jetzt die Kinder Israels mit in ihr antirassistisches Boot holen.

Von »Juden und anderen People of Color« schreibt sie in ihrer jüngsten Kolumne. »People of Color«, abgekürzt »PoC«, ist ein Begriff aus der postkolonialen Theorie und bezeichnet »Menschen, die gegenüber der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß gelten und wegen ethnischer Zuschreibungen (›Sichtbarkeit‹) alltäglichen, institutionellen und anderen Formen des Rassismus ausgesetzt sind«. (Danke, Wikipedia).

unterdrückungssystem Das ist insofern neu, als bislang Juden im postkolonialen Diskurs meist als weiß und daher als Teil des Unterdrückungssystems eingeordnet wurden. Die Schoa galt deshalb bloß als Verbrechen von Weißen an Weißen und folglich als minder schlimm.

»Eine Form des Rassismus – in diesem Fall den Antisemitismus – zu einer eigenen Klasse zu erheben, (…) ist in Wahrheit eine weitere Manifestation der privilegierten Stellung der Weißen«, erklärte zum Beispiel Farid Esack, muslimischer Religionswissenschaftler aus Südafrika, im Juni in Dortmund am Rande des Evangelischen Kirchentages. (Esack ist übrigens im Nebenberuf Vorsitzender des südafrikanischen BDS.)

Aber jetzt sind wir dank Ferda Ataman rehabilitiert und dürfen uns in das breite Bündnis der Entrechteten und Diskriminierten einordnen. Wobei sich allerdings ein paar begriffliche Fragen stellen. »People of Color« heißt übersetzt eigentlich »Farbige«, hat also etwas mit der Hautfarbe zu tun. Einen spezifisch jüdischen Teint gibt es nicht.

»sichtbarkeiten« Hat die Autorin an andere »Sichtbarkeiten« gedacht? Vielleicht die aus Meyers Großem Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände von 1902? »Es kennzeichnen den Juden eine lange hakenförmig gekrümmte Nase«, heißt es dort. Und weiter: »Vorstehende feuchte Augen, dicke hängende oder wenigstens umgestülpte Unterlippe, schmächtiger Brustkasten und Plattfüße.« Dann wären wir allerdings nicht »People of Color«, sondern »People of Noses«, abgekürzt »PoN«.

Okay, das ist natürlich polemisch. Was Ferda Ataman sagen will, ist, dass, weil Juden von der deutschen Mehrheitsgesellschaft diskriminiert werden, sie nolens volens mit anderen Minderheiten im selben Boot sitzen. Nolens volens ist lateinisch und bedeutet »ob man will oder nicht«. Ich für mein Teil möchte lieber nicht. Zumindest nicht so lange, bis sicher ist, dass sich die neue Allianz bei allen anderen Bootsinsassen herumgesprochen hat.

Mindestens so groß wie das Risiko, als Jude von Biodeutschen antisemitisch angegangen zu werden, ist nämlich die Gefahr, von »People of Color« aus dem mediterran-arabischen Kulturkreis als »Yahudi« eins auf die Nase zu kriegen. Wahrscheinlich wird in diesen Kreisen einfach nicht genug Spiegel Online gelesen.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert