Film

Wahrhaft und witzig

Eine Serie, die sich mit viel Witz und einer wohltuenden Wahrhaftigkeit mit den Alltagssorgen, Generationskonflikten und Identitäts-Auseinandersetzungen einer jüdischen Familie im heutigen Deutschland auseinandersetzt, gibt es wahrlich nicht alle Tage. »Mir ging es nicht in erster Linie darum, eine Lücke im deutschen Fernsehen zu füllen«, betont David Hadda, der als Creator und Showrunner verantwortlich zeichnet für den tragikomischen Sechsteiler Die Zweiflers, der im April als Beste Serie beim Festival Canneseries ausgezeichnet wurde und jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen ist.

»Vielmehr habe ich die Idee zu diesem Projekt schon sehr lange mit mir herumgetragen. Ich wollte einfach mal eine Geschichte erzählen, die sich auf jenen Mikrokosmos konzentriert, in dem ich selbst aufgewachsen bin«, erzählt Hadda beim Interview-Termin in einem Coffeeshop in Berlin-Charlottenburg und bezieht sich dabei auf die eigene Kindheit in Frankfurt, wo nun auch die gemeinsam mit Ehefrau Sarah sowie Juri Sternburg geschriebene Serie spielt. »Wobei ich immer wieder betone, dass die Geschichte zwar nicht autobiografisch, aber doch emotional in der Realität verankert ist. Wir zeigen eine Collage von Menschen, mit denen wir aufgewachsen sind und die wir in unserem Leben kennengelernt haben.«

Die Serie entwirft komplexe, auch ambivalente Biografien.

Patriarch Symcha (Mike Burstyn) will auf seine alten Tage das Delikatessen-Imperium der Familie verkaufen, Tochter Mimi (Sunnyi Melles) ist nicht nur davon vor den Kopf gestoßen, Enkel Samuel (Aaron Altaras) verliebt sich in Saba (Saffron Coomber), eine schwarze, nichtjüdische Köchin, die ungeplant schwanger wird.

Das emotional turbulente, kunterbunte Familienporträt, das Die Zweiflers nun aus all diesen und vielen weiteren Bestandteilen auf den Bildschirm bringt, zeichnet sich durch vieles aus. Angefangen beim Tonfall, der keine Angst vor Überzeichnung hat, mit Klischees spielt und trotzdem nie unecht wirkt. »Labels und Genres haben mich in dieser Hinsicht noch nie interessiert«, sagt Hadda, der mit seiner Firma Turbokultur auch schon Serien wie Lamia oder Deadlines sowie die Show Freitagnacht Jews verantwortete. »Das Leben ist schließlich auch nie nur Drama oder nur Comedy. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die Sache zu blicken, das ist ja etwas sehr Jüdisches.«

Frankfurt so cool in Szene gesetzt, als sei es New York

Auch die visuelle Umsetzung der Serie (die von Anja Marquardt und Clara Zoe My-Linh von Arnim inszeniert wurde) ist nicht nur für deutsche Verhältnisse sehr speziell: Frankfurt am Main so cool und fernab von Hochglanz in Szene zu setzen, als sei man in New York, das muss man erst einmal schaffen. Doch mit nichts besticht Die Zweiflers so sehr wie mit den Figuren und dem Ensemble, das sie zum Leben erweckt.

Die Großelterngeneration der Holocaust-Überlebenden – hier in Gestalt von Familienoberhaupt Symcha Zweifler und seiner Frau Lilka (Eleanor Reissa) – habe er, so Hadda, hierzulande noch nie so erzählt gesehen. Vom üblichen Opfer-Narrativ keine Spur, stattdessen entwirft die Serie komplexe, auch ambivalente Biografien, die gerade deswegen »empowering« sind, wie er sagt.

Auf der Suche nach Schauspielerinnen und Schauspielern im richtigen Alter, die authentisches Jiddisch sprechen, wurde der Showrunner dabei im Ausland fündig: Mike Burstyn ist Broadway-erprobt und nicht zuletzt in Israel ein Star, von ihm kam dann auch die Empfehlung für die mehrfach Tony-nominierte Künstlerin Eleanor Reissa, die vor einigen Jahren etwa die Show From Shtetl to Stage: A Celebration of Yiddish Music and Culture an der New Yorker Carnegie Hall verantwortete.

Aaron Altaras trägt die Serie als Fixpunkt lässig auf seinen Schultern

Überhaupt, das Ensemble! Aaron Altaras als Samuel trägt die Serie als ihr Fixpunkt so lässig auf seinen Schultern, als sei ihm die Rolle auf den Leib geschneidert. Sunnyi Melles ist als Mimi gerade deswegen eine so spannende Besetzung, weil sie – wie Hadda berichtet – zwar nicht die jüdische Sozialisation mitbrachte, aber als Tochter eines jüdischen Vaters die richtige emotionale Verbundenheit: »Wahrscheinlich hat sie auch deswegen schon im Casting viel weniger das Klischee der jüdischen Mame bedient als einige andere Schauspielerinnen.«

Dazu kommen unter anderem Mark Ivanir als Mimis Ehemann, Leo Altaras als jüngster Zweifler-Enkel oder niemand anderes als Ute Lemper (die einzige Nichtjüdin im Cast der Zweifler-Familie) als in die USA ausgewanderte Tochter Tammi.

Der Terroranschlag am 7. Oktober schweißte alle am Set zusammen.

Dass das gesamte Team noch mit dem Dreh zu Die Zweiflers beschäftigt war, als die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 Israel angriffen, schweißte alle Beteiligten noch mehr zusammen. »Wir hatten am Tag zuvor gerade erst eine unserer wichtigsten Szenen gedreht, eine große Beschneidungsfeier«, erinnert sich Hadda. »Und eine Woche später drehten wir die Szenen in der Synagoge in Frankfurt, trotz der angespannten Sicherheitslage und zu einer Zeit, als in Berlin schon Molotowcocktails flogen.«

Doch auch in dieser Hinsicht erwies sich diese Serie als wahrlich außergewöhnliche Erfahrung für alle Beteiligten: »Viele von uns haben Familie in Israel oder teilweise selbst dort gelebt. Aber trotz aller Betroffenheit und dem unfassbaren Schock war es auch eine sehr schöne, stärkende Erfahrung, in dieser Zeit gemeinsam an dieser Serie zu arbeiten. Weil uns klar war, dass sie nach dem 7. Oktober genauso wichtig sein würde wie davor. Und wir sie auch danach nicht anders gemacht hätten.«

Die Serie ist ab dem 3. Mai in der ARD-Mediathek zu sehen.

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