Frankfurt/ Main

Vorsicht: Sprache

Lena Inowlocki spricht am Montagnachmittag vor einer Gruppe von jungen Frauen und Männern und scheint nicht mit Einwänden zu rechnen – schon gar nicht, als sie einen Satz ausspricht, der, dem Ton ihrer Stimme nach zu urteilen, für alle eine Selbstverständlichkeit ist: »Es gibt Rassismus, obwohl Menschen nicht in Rassen eingeteilt werden können.«

An ebendieser Aussage entfacht sich aber eine Diskussion, die die Referentin für einen Moment sprachlos macht. Doch dann lässt sie sich ein auf die Einwände einer Zuhörerin. Natalia, 23 Jahre alt und Biologiestudentin, ist nämlich nicht einer Meinung mit Inowlocki. Selbstbewusst und mit überzeugter Stimme sagt die junge Frau der Soziologin, die an der Fachhochschule Frankfurt lehrt, dass Menschen – wie eben auch Tierarten – anhand bestimmter Erkennungsmerkmale durchaus in Rassen unterteilt werden könnten. Der Hinweis der Wissenschaftlerin, dass die Behauptung der Existenz menschlicher Rassen eine ideologische und biologisch nicht haltbar sei, stellt die Biologiestudentin nicht wirklich zufrieden.

Lücke Natalia ist eine von 20 Teilnehmern der Sommerakademie zum Thema »Antisemitismus und Israelkritik in der deutschen Einwanderungsgesellschaft«, die die Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland organisiert hat und in diesem Jahr erstmals anbietet. Inowlockis Vortrag »Antisemitismus in der modernen Gesellschaft« war als Einführung zu dem fünftätigen Seminar ge-plant, zu dem sich Teilnehmer zwischen 18 und 35 Jahren aus ganz Deutschland angemeldet hatten.

Auch wenn die Referentin ihren Vortrag nicht zu Ende halten konnte, weil die Diskussionen – etwa die über die Frage nach der Existenz von Rassen bei Menschen – mehr Zeit beanspruchten als vorgesehen: Eine gute Einführung ins Thema war er allemal und bestätigte den Veranstaltern, dass ihr Seminarangebot eine Lücke füllt.

Bei der Begrüßung erklärten Doron Kiesel als wissenschaftlicher Direktor und Sabena Donath als Leiterin der Bildungsabteilung, dass sie mit der Sommerakademie Neuland betreten und mit dem Seminar über »Antisemitismus und Israelkritik« jungen Juden in Deutschland eine Hilfestellung geben möchten. »Damit ihr gut gewappnet seid und euch besser positionieren könnt«, erläuterte Donath.

Sie wisse aus eigener Erfahrung, dass es immer wieder Situationen gebe, die einen sprachlos machten, weil man kein Argument parat habe. Wie soll man etwa als Jude reagieren, wenn man mit Statements wie »Ihr Juden seid doch selbst schuld, weil ihr euch für etwas Besseres haltet« konfrontiert wird? Was antworten, wenn die Frage gestellt wird, warum man sein Kind auf eine jüdische Schule schicke und so selbst zur Ghettobildung beitrage?

Mit diesem Seminar will die Bildungsabteilung jungen Juden in Deutschland dabei helfen, Antworten zu finden auf die Frage: Wie können wir reagieren, was erwidern, ohne gekränkt, empört und wütend zu sein? Es soll ihnen dabei helfen, sich gegen Antisemitismus in adäquater Form zu positionieren – vor allem aber auch versteckten Antisemitismus zu erkennen und gegenüber den Äußerungen und Haltungen des Gesprächspartners sensibel zu sein.

Gewappnet Ebendiese Gründe nennen die Teilnehmer in der Vorstellungsrunde als Motiv, warum sie sich aus Berlin, Chemnitz, Köln und anderen Orten auf den Weg nach Frankfurt gemacht haben. Josef aus Chemnitz beispielsweise, 35 Jahre alt und aus der Ukraine eingewandert, möchte gewappnet sein für akademische Debatten zur »Israelkritik«.

Schon am ersten Tag erfahren die Teilnehmer, welche Tücken die Sprache birgt und wie leicht man sich aufs Glatteis führen lässt. Denn allein Wortkonstruktionen wie »Israelkritik«, im politischen und akademischen Diskurs gängig, seien problematisch, sagt Inowlocki und erklärt: »Von Frankreichkritik oder Italienkritik ist nie die Rede, warum dann aber von Israelkritik?«

Die Ergebnisse des ersten Seminartages fasst Donath so zusammen: »Wortkonstruktionen konstruieren Wirklichkeit. Eine Handlungsstrategie, die wir daraus ableiten können, ist, dass wir selbst achtsam sind beim Gebrauch von Wörtern.« Noch bis Freitag stehen auf dem Programm des fünftägigen Seminars Vorträge, Diskussionen, Übungen und Museumsbesuche.

Die Sommerakademie ist die vierte Veranstaltung der Anfang dieses Jahres gegründeten Bildungsabteilung des Zentralrats. Langfristiges Ziel ist nach Worten von Doron Kiesel die Gründung einer Jüdischen Akademie, »deren Angebote sich rund um Kultur, Bildung und jüdisches Leben drehen – um all die Themen also, die für die Konstruktion einer jüdischen Identität wichtig sind«.

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  11.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025