Literatur

Von Gott besessen

»Ich träume in Jiddisch«: Elie Wiesel Foto: dpa

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Von Gott besessen

Elie Wiesel hat in seinen Romanen versucht, das Unbeschreibliche der Schoa zu beschreiben. Am 30. September wird er 85 Jahre alt

von Christian Buckard  23.09.2013 14:34 Uhr

»Meine Arbeitssprache ist Französisch. Ich unterrichte in Englisch. Und ich träume in Jiddisch«, hat der Schriftsteller Elie Wiesel während eines Besuchs in seiner rumänischen Geburtsstadt Sighet erklärt. Sein bekanntestes Buch, Nacht, hat Wiesel in seiner Traumsprache geschrieben. »Aus einem sentimentalen Pflichtgefühl heraus«, hat er später fast entschuldigend bemerkt.

Er könne eigentlich keine Bücher in jiddischer Sprache schreiben. Das ursprüngliche Manuskript der Erinnerungen an seine Zeit in Auschwitz, Buna und Buchenwald trug den Titel »Un di Velt Hot Geshvign« und umfasste 862 Seiten. Erst nachdem er es auf 245 Seiten gekürzt hatte, konnte das Buch 1956 in Buenos Aires erscheinen. Zwei Jahre später erschien eine wiederum gekürzte Fassung in französischer Sprache.

Auf Deutsch lesen sich Wiesels Erinnerungen an seine erste Nacht in Auschwitz so: »Nie werde ich diese Nacht vergessen, die erste Nacht im Lager, die aus meinem Leben eine siebenmal verriegelte lange Nacht gemacht hat. Nie werde ich diesen Rauch vergessen. Nie werde ich diese kleinen Gesichter der Kinder vergessen, deren Körper vor meinen Augen als Spiralen zum blauen Himmel aufstiegen. Nie werde ich die Flammen vergessen, die meinen Glauben für immer verzehrten.

Nie werde ich das nächtliche Schweigen vergessen, das mich in alle Ewigkeit um die Lust am Leben gebracht hat. Nie werde ich die Augenblicke vergessen, die meinen Gott und meine Seele mordeten, und meine Träume, die das Antlitz der Wüste annahmen. Nie werde ich das vergessen, und wenn ich dazu verurteilt wäre, so lange wie Gott zu leben. Nie.«

zeugnis Nacht gehört neben den Werken etwa von Primo Levi, Imre Kertész, Jorge Semprún, Ruth Klüger und Aharon Appelfeld zu den bedeutendsten Büchern Überlebender. Dabei wollte Wiesel seine Erinnerungen an die Zeit in den Lagern zuerst nicht aufschreiben. Doch fühlte er gleichzeitig, dass er es musste. Und er wusste, dass er als Zeuge scheitern würde. »Tatsächlich«, sagte Wiesel in einem Gespräch mit Jorge Semprún, »besteht die Tragik, die verzweifelte Tragik dieser Geschichte darin, dass man sie nicht erfahrbar machen kann. Was du und ich gesehen haben, wird niemand sehen. Man müht sich ab, man gibt sein Bestes dafür, aber ich glaube nicht, dass es geht.«

»Zu schweigen«, bestätigt Semprún, »ist unmöglich. Ich habe mich, um auf mein Verhältnis zur Schriftstellerei zu kommen, 15 Jahre lang gezwungen gesehen zu schweigen. Das brauchte ich zum Überleben. Andere sind durch Schreiben ins Leben zurückgekehrt, Primo Levi zum Beispiel.« Der Turiner Primo Levi war in Auschwitz in derselben Baracke mit Elie Wiesel. Als sie sich Jahrzehnte später wiederbegegneten, stellten sie fest, dass sie sich aneinander nicht erinnerten. Und dass sie Auschwitz sehr unterschiedlich erfahren hatten.

»In gewissem Sinne«, erklärte Primo Levi in einem Interview, »war für mich alles viel einfacher als für meinen gläubigen Lagerkameraden Elie Wiesel. Er war brutal damit konfrontiert, das schwere Trauma vom Triumph des Bösen zu durchleiden, und deswegen hat er dann Gott angeklagt, dass er es zuließ, dass er nicht einschritt, um den Schlächtern Einhalt zu gebieten. Ich hingegen habe lediglich die Schlussfolgerung gezogen: ›Also ist es wirklich wahr: Es gibt keinen Gott.‹«

Der Kampf mit Gott ist hingegen ein Leitmotiv im Werk des Schriftstellers Elie Wiesel. »Ich spreche selten über Gott. Ich spreche zu ihm, ja. Und protestiere gegen ihn.« Nicht in seiner Traumsprache, aber immerhin auf Französisch. In Essays, Erzählungen und Romanen. 15 Romane hat Wiesel bis heute veröffentlicht. Und da er – wie Primo Levi es formuliert – »ein von Gott ›Besessener‹ geworden« ist, sind seine Romane nicht immer leicht zugänglich. Immerhin: In Frankreich wurde Wiesels Roman Der Bettler von Jerusalem (1968) mit dem Prix Médicis ausgezeichnet.

misstrauen Wiesels Vorsicht und sein Misstrauen gegenüber den Möglichkeiten der Sprache sind in seinem ersten Roman noch spürbar. Vielleicht ist Morgengrauen, 1960 veröffentlicht, auch deswegen Wiesels wohl bester Roman. Er erzählt die Geschichte eines Überlebenden, der sich in Palästina der Untergrundbewegung – Vorbild ist Begins Irgun – anschließt und den Auftrag erhält, eine britische Geisel zu erschießen. Die Verfilmung von Morgengrauen wird nächstes Jahr in die Kinos kommen. Auch ein Indiz für die fortdauernde Kraft des Romans.

Obwohl Elie Wiesel heute – zumindest laut der Tageszeitung Haaretz – der »berühmteste« Schoa-Überlebende der Welt ist, hat er über seine persönlichen Erfahrungen in Auschwitz nur sehr wenig geschrieben. Und wenn Wiesel auch nicht die Meinung Claude Lanzmanns teilt, dass man über die Schoa keine Romane schreiben dürfe, so handelt doch kein einziger seiner Romane direkt von seiner Zeit in Auschwitz. Aber zwischen den Zeilen steht diese Zeit immer, vor allem in Wiesels Essays und Erzählungen, die sich mit der vernichteten chassidischen Welt seiner Vorfahren beschäftigen.

jiddisch Wenn seine Romane auch hohe Auflagen erzielen, so können sie doch nicht an den begründeten Erfolg seines Buchs Nacht anknüpfen, das bis heute Millionen Leser gefunden hat. Dabei ist sich Wiesel nicht sicher, ob es überhaupt richtig war, das Buch zu schreiben, ob »Sprache oder Schweigen« das Richtige ist. Gegenüber der Paris Review sagte Wiesel hierzu: »Vielleicht, wenn wir damals geschwiegen hätten – und genau das versuche ich in meinem Roman Der Schwur von Kolvillag zu sagen –, hätten wir dieses in Mode gekommene Phänomen nicht. Dann wäre der Holocaust nicht dieses modische Thema geworden, eine Tatsache die ich genauso abstoßend – wenn nicht sogar noch abstoßender – finde wie das, was wir davor hatten: die Ignoranz gegenüber dem Thema.«

Dass der Schriftsteller Elie Wiesel nie wieder zur Stärke seines ersten Buchs zurückgefunden hat, mag einen so einfachen wie tragischen Grund haben: Elie Wiesel wurde zwangsläufig ein sprachloser, ein verwaister Schriftsteller, weil er aufgehört hat, in jiddischer Sprache zu schreiben. Memoiren und Romane brauchen nun einmal die Traumsprache.

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