Film

Von Bären und Menschen

Ein rundes Jubiläum feiern die Internationalen Filmfestspiele Berlin, die an diesem Donnerstag beginnen. Zum 60. Mal werden die Goldenen und Silbernen Bären verliehen. Ein Kinoweltereignis, glaubt man den Veranstaltern. Doch so bedeutsam, wie sie sich selbst sieht, ist die Berlinale nicht.

loser Gute, aber kaum hervorragende Kost wird dieses Jahr von israelischen Filmemachern in Berlin aufgetischt. Wirkliche Leckerbissen, wie die israelisch-palästinensische Koproduktion Ajami über einen Problemkiez in Jaffa, stehen auf anderen Speisekarten. Obwohl Ajami, nominiert für einen Oscar als bester nichtenglischsprachiger Film, mit Geldern des World Cinema Fund der Berlinale produziert wurde, ist diese herausragende israelische Produktion nicht beim Filmfestival in der deutschen Hauptstadt zu sehen, sondern feierte ihre Premiere vergangenen Mai in Cannes.

Doch freuen wir uns an dem, was wir haben, und das ist an Jüdischem im weitesten Sinne mehr als im Vorjahr: ein jüdischer Versager, der sich mit 40 ohne Frau und Job durchschlägt (Greenberg von Noah Baumbach mit Ben Stiller und Jennifer Jason Leigh) im offiziellen Wettbewerbsprogramm; ein israelischer Sozialphobiker, der sich mit Gasflaschen in seiner Wohnung verbarrikadiert (Phobidilia von Doron und Yoav Paz) im Panorama; ein österreichischer Schauspieler im Dritten Reich, der nachträglich an seiner Rolle im Nazi-Propagandafilm Jud Süß zerbricht (Jud Süß – Film ohne Gewissen von Oskar Roehler mit Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck) im Wettbewerb. Das sind die Helden der drei langen Spielfilme mit jüdischer oder israelischer Thematik bei der 60. Berlinale. Im weiteren Sinne dazuzählen könnte man auch den Dichter Allen Ginsberg aus Howl. Der Wettbewerbsbeitrag erzählt von dem Literatur- und Justizskandal 1957 um das angeblich obszöne Gedicht Howl des homosexuellen jüdisch-amerikanischen Beatpoeten. Regie führen Robert Epstein und Jeffrey Friedman. Hoffnung auf einen Goldenen Bären für den besten Kurzfilm macht sich Hayerida (Der Abstieg) von Shai Miedsinski, der von einer Familie erzählt, die einen Grabstein für ihren verstorbenen Sohn sucht.

dokumentationen Nur diese fünf von insgesamt 13 Berlinalefilmen, die in Israel produziert wurden, von jüdischen Themen handeln oder jüdische Helden porträtieren, sind Spielfilme. Es dominieren Dokumentationen, zu sehen in den Berlinale-Nebenreihen Panorama und Forum. Die meisten dieser Filme sind durchaus sehenswert. Das gilt allerdings nicht für Hazman Havarod – Gay Days von Yair Quedar, dem ehemaligen Chefredakteur der gleichnamigen israelischen Schwulen- und Lesbenzeitung, der die Geschichte seiner Community erzählen will, aber über Selbstbespiegelung nicht hinauskommt. Und das, obwohl Quedar für Interviews sämtliche Heldinnen und Helden der ersten Stunde zur Verfügung standen, aus der Zeit, als es in Tel Aviv noch ein Wagnis war, sich zu outen. Ein verwandtes Thema behandelt um Klassen besser I Shot My Love. Auf den ersten Blick aufdringlich (wer filmt seinen Lover schon am Morgen nach der ersten Nacht in der Dusche?), dann aber anrührend, berichtet der israelische Regisseur Tomer Heymann, der 2006 in Berlin den Panorama-Publikumspreis für Paper Dolls gewann, von seiner Liebe zu einem deutschen Katholiken, den er nach der Preis- verleihung in der Panorama-Bar kennenlernte. Heymanns Partner Andreas berichtet mutig vor der Kamera vom Missbrauch durch einen Priester als 12-Jähriger. Szenen vom Pessach-Seder in Israel und dem Heiligen Abend in Deutschland geben Einblicke in eine ungewöhnliche deutsch-israelische Beziehung.

Herausragend ist Soreret – Black Bus im Forum. Die israelische Regisseurin Anat Yuta Zuria porträtiert zwei junge Frauen, die sich von ihren ultraorthodoxen Gemeinschaften abgewandt haben. Der Film nähert sich seinen Heldinnen einfühlsam, zeigt auch offen die psychischen Probleme, die mit dem Ausstieg verbunden sein können. Gedreht wurde in Jerusalem, wo die staatliche Busgesellschaft Egged unter dem Druck der Haredim Frauen in bestimmten Stadtteilen nur noch im rückwärtigen Teil ihrer Busse befördert. Alternativen haben die nach hinten Verbannten oft nicht: Un-ter Berufung auf die Halacha haben manche Rabbiner Frauen verboten, den Führerschein zu machen.

NAhost und schoa Um Ausgewogenheit bemüht, trotzdem spannend, zeigt die US-Regisseurin Julia Bacha in Budrus den erfolgreichen gewaltlosen Widerstand eines palästinensischen Dorfes im Westjordanland, dessen Bewohner gemeinsam mit israelischen Aktivisten den Bau der Trennmauer bekämpften. Ein Muss für alle Fans von Friedensdemos. Sehenswert ist auch eine Koproduktion der Schweiz und des Emirats Katar im Forum: Aisheen – Still Alive in Gaza von Nicolas Wadimoff über Gaza nach dem Krieg vor gut einem Jahr. Trotz der massiven Einschränkungen der Pressefreiheit durch die Hamas, die in vielen Interviews deutlich spürbar wird, gelingen dem Regisseur ungewöhnliche Aufnahmen, vor allem von Kindern – wobei die Perspektive der Israelis allerdings völlig außen vor bleibt.

Ein klassisches Holocaustdrama (falls man Roehlers Jud Süß nicht als solches werten möchte) fehlt in diesem Jahr. Gefragt ist fast 65 Jahre nach dem Ende der Schoa die nüchterne Auseinandersetzung mit Archivmaterial oder Prozessen gegen NS-Verbrecher. Shtikat Haarchion (Das Schweigen des Archivs) der Israelin Yael Hersonski arbeitet mit ungeschnittenem Filmmaterial aus dem Warschauer Ghetto. Dort machten die Nazis 1942 Aufnahmen für einen Propagandafilm, der die »sittliche Verrohung« der Juden aufzeigen sollte. Gedreht wurde unter anderem im Haus des Judenratsvorsitzenden Adam Czerniakow. In der Reihe Berlinale Special wird eine Neufassung des historischen Films Nuremberg: Its Lessons for Today gezeigt, den die US-Regierung 1948 über das NS-Kriegsverbrechertribunal drehen ließ. Und Fritz Bauer – Tod auf Raten der polnischen Regisseurin Ilona Ziok erzählt vom frühen und rätselhaften Tod des deutsch-jüdischen Juristen, der als hessischer Generalsstaatsanwalt den Frankfurter Auschwitzprozess 1963 auf den Weg brachte.

www.berlinale.de

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