Daniel Cohn-Bendit

Vom roten Dany zum Macron-Vertrauten

Der Politiker und streitbare Publizist feiert seinen 75. Geburtstag

von Christian Böhmer  04.04.2020 20:51 Uhr

Daniel Cohn-Bendit Foto: imago

Der Politiker und streitbare Publizist feiert seinen 75. Geburtstag

von Christian Böhmer  04.04.2020 20:51 Uhr

Sohn deutscher Emigranten, Ikone der Studentenrevolution von 1968, Grünen-Politiker und überzeugter Europäer: Daniel Cohn-Bendit mischt seit über fünf Jahrzehnten in der politischen Debatte auf beiden Seiten des Rheins mit.

Der streitbare Publizist und Filmemacher ist gefragt, mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron tauscht er nach eigener Auskunft auf dem Handy SMS-Nachrichten aus.

Zeitenwende Vor seinem 75. Geburtstag am Samstag zeigt sich der Deutsch-Franzose angesichts der Corona-Krise auch nachdenklich – und spricht von einer »hyper-ängstlichen Zeitenwende«.

Cohn-Bendit lebt in Frankfurt. In Frankreich ist er in der öffentlichen Debatte präsent, Menschen erkennen ihn auf der Straße, manche sehen ihn immer noch als einen Star.

Ich bin weder Deutscher noch Franzose. Ich bin der französischte Deutsche und der deutscheste Franzose. Daniel Cohn-Bendit

Die Tageszeitung »Le Monde« nannte den quirligen Ex-Parlamentarier einmal einen »besonderen Cocktail mit zwei Staatsangehörigkeiten«. Im Alltag haben für ihn die zwei Ausweise allerdings wenig Bedeutung: »Es ist mir völlig wurscht, welchen Pass ich ziehe. Vor drei Jahren war mein Visum für New York in meinem deutschen Pass«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Paris.

Fussball In seinem autobiografischen Buch über Fußball erzählt der einstige Frankfurter Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten, dass er bei Spielen zwischen Frankreich und Deutschland stets für La France halte. Aber das sei nur beim Fußball so, wendet er ein – er lebe sehr gerne in Deutschland. »Mein Ventil ist der Sport«, erzählt er. »Als kleines Kind bin ich mit dem französischen Fußball aufgewachsen. Ich bin weder Deutscher noch Franzose. Ich bin der französischte Deutsche und der deutscheste Franzose.«

Der »rote Dany«, wie er früher auch genannt wurde, kam 1945 im südwestfranzösischen Montauban zur Welt; seine Eltern waren vor den Nazis aus Deutschland geflohen, der Vater war ein linker Anwalt. Cohn-Bendit selbst sagte einmal, er sei im Sommer der Befreiung gezeugt worden - 1944 landeten die alliierten Streitkräfte beim D-Day in der Normandie.

Cohn-Bendit wurde nie Minister, denn er wollte seine Freiheit behalten.

Er machte an der hessischen Odenwaldschule Abitur und studierte in Frankreich Soziologie. 1968 verwies die französische Regierung den Sprecher der Pariser Mai-Revolution und vermeintlichen Unruhestifter des Landes. Erst zehn Jahre später wurde das Einreiseverbot aufgehoben.

Ein halbes Jahrhundert später findet der einstige Revolutionär in der trutzigen Pariser Machtzentrale Élyséepalast Gehör. Debatten mit dem impulsiven Staatschef Macron laufen mitunter hitzig ab: »Ich kann ihm die härteste Kritik entgegenbringen, und er nimmt das immer an. Manchmal sagt er dann: »Du spinnst!«, oder ich sage: »Du spinnst!««

Élyséepalast Dem Reformer Macron fehle die Erfahrung mit sozialen Bewegungen, resümiert Cohn-Bendit. Zudem sei der 42-Jährige in einem autoritären, vom Weltkriegshelden Charles de Gaulle geschaffenen Präsidentschaftssystem gefangen. Entweder man existiere und führe im Élyséepalast, dann sei man wie der Konservative Nicolas Sarkozy oder Macron. Oder man existiere nicht, dann schneide man ab wie Macrons glückloser sozialistischer Vorgänger François Hollande - so lautet die schonungslose Analyse des Alt-1968ers.

Die Corona-Pandemie läutet seiner Einschätzung nach ein Wendejahr ein.

Cohn-Bendit wurde im Gegensatz zu seinem früheren WG-Kumpel und Grünen-Toppolitiker Joschka Fischer nie Minister, denn er wollte seine Freiheit behalten. Über zwei Jahrzehnte hinweg saß er für die Grünen im Europaparlament. Ein langjähriger Frankfurter Wegbegleiter, der Grünen-Politiker Tom Koenigs, nennt Cohn-Bendit einen stets sehr fröhlichen Politiker. »Seine hervorstechende Eigenschaft: Er ist sehr generös«, sagt der frühere Bundestagsabgeordnete.

Kritik Der hitzige Rhetoriker Cohn-Bendit hat auch einen Hang zur Provokation – und bekam Schattenseiten deutlich zu spüren. Seine nunmehr über 40 Jahre alten umstrittenen Äußerungen über Intimitäten mit Kindern, von denen er sich wiederholt distanzierte, sorgten vor der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2013 für heftige Proteste. Nach der scharfen Kritik verzichtete Cohn-Bendit dann auf den Deutsch-Französischen Medienpreis.

Die Corona-Pandemie läutet seiner Einschätzung nach ein Wendejahr ein. »Aber die Symbolik ist verheerend«, bilanziert er. »1968 war die Wirtschaft lahmgelegt. Alle waren draußen.« Nun sei es umgekehrt: Alle seien drinnen. Sein Projekt für das Ausnahmejahr? Ein Film, der sich mit seiner jüdischen Identität beschäftigt. »Die jüdische Gemeinde in Frankfurt will ihn bei ihrem Filmfestival im Herbst zeigen, mit deutschen Untertiteln.« In Frankreich solle der Streifen bei einem TV-Sender laufen, in Deutschland habe sich hingegen noch kein Sender gefunden.

London

Hart, härter, Aaron Taylor-Johnson

Ein Marvel-Schurke zu sein, ist körperlich extrem anstrengend. Dies räumt der jüdische Darsteller nach dem »Kraven The Hunter«-Dreh ein

 11.12.2024

PEN Berlin

»Gebot der geistigen und moralischen Hygiene«

Aus Protest gegen Nahost-Resolution: Susan Neiman, Per Leo, Deborah Feldman und andere verlassen den Schriftstellerverein

 11.12.2024

Medien

»Stern«-Reporter Heidemann und die Hitler-Tagebücher

Es war einer der größten Medienskandale: 1983 präsentierte der »Stern« vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler. Kurz darauf stellten die Bände sich als Fälschung heraus. Ihr »Entdecker« ist nun gestorben

von Ann-Kristin Wenzel  10.12.2024

Imanuels Interpreten (2)

Milcho Leviev, der Bossa Nova und die Kommunisten

Der Pianist: »Ich wusste, dass ich Bulgarien verdammt zügig verlassen musste«

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Glosse

Der Rest der Welt

»Mein kleiner grüner Kaktus« – ein Leitfaden für Frauen von heute

von Nicole Dreyfus  10.12.2024

Gelsenkirchen

Bayern-Trainer Kompany: Daniel Peretz genießt mein Vertrauen

Daniel Peretz soll Manuel Neuer bis zum Jahresende im Bayern-Tor vertreten. Trainer und Mitspieler vertrauen dem Israeli. Neuer könnte in einem Monat in Gladbach zurückkehren

 10.12.2024

Meinung

PEN Berlin war kurz davor, auf der Seite der Feinde Israels zu stehen

Nur knapp konnte verhindert werden, dass die Schriftstellervereinigung eine Resolution annahm, die von glühender »Israelkritik« geprägt war

von Stefan Laurin  10.12.2024

Beverly Hills

Zahlreiche Juden für Golden Globes nominiert

Darsteller, Regisseure und Komponisten stehen auf der Liste

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Kontroverse

»Da sind mittlerweile alle Dämme gebrochen«

PEN Berlin-Gründungsmitglied Lorenz Beckhardt über den Streit über Israel und den Nahostkonflikt

von Michael Thaidigsmann  10.12.2024