Satire

Vom Erwachsenwerden in schwierigen Zeiten

Szene aus Taika Waititis Film »Jojo Rabbit« Foto: 2019 Twentieth Century Fox Film Corporation

Dass die Verkörperung von Adolf Hitler der Karriere eines Schauspielers nicht unbedingt hinderlich sein muss, bewiesen nicht nur Bruno Ganz in Der Untergang und Oliver Masucci in Er ist wieder da. 2020 war es dann Taika Waititi, bekannt als Regisseur von Thor: Tag der Entscheidung, der sich in Jojo Rabbit mit Überschwang die Rolle aneignet und gleichzeitig auch als Regisseur und Drehbuchautor fungiert.

Schmaler Schnurrbart, Scheitel, Haartolle: fertig ist die Hitler-Karikatur, die allerdings – so viel als vorweggenommenes Fazit – zu brav und mutlos daherkommt. Es geht neckisch los. Statt der berühmten Fox-Fanfare ertönt »Frühlingsstimmen« von Johann Strauss, nach zahlreichen »Heil Hitlers« singen die Beatles auf Deutsch »Komm, gib mir deine Hand« zu der Melodie von »I want to hold your hand«, während in Dokumentaraufnahmen zahlreiche Menschen die Hand zum Hitlergruß erheben.

Nazideutschland Pop-Musik und Nazideutschland – Waititi vereint das Unvereinbare und erzählt die Geschichte von Johannes, einem zehnjährigen deutschen Jungen aus einem kleinen Ort namens Falkenheim. In einem Lager der Hitlerjugend soll er unter Anleitung von Sam Rockwell als zynischem Hauptmann K. lernen, wie man Granaten wirft und durch den Schlamm robbt, wie man Gasmasken anlegt und Schusswaffen benutzt, wie man Bücher verbrennt und tötet.

Rebel Wilson ist als Fräulein Rahm für die weiblichen Aspekte der Ausbildung verantwortlich – als Mutter von 18 Kindern gibt sie ihr diesbezügliches Wissen weiter. Jojo versagt so ziemlich bei jeder Übung, und weil er sich weigert, einen Hasen zu töten, hat er bald einen unschönen Spitznamen: Jojo Hasenfuß.

Immerhin steht ihm ein imaginärer Freund, nämlich Adolf Hitler, mit aufmunternden Sprüchen zur Seite. Der Junge wäre gern ein guter Nazi, doch plötzlich steckt er in einem Dilemma. Seine Mutter Rosie, dargestellt von Scarlett Johansson, hat auf dem Dachboden ein jüdisches Mädchen versteckt: Elsa (Thomasin McKenzie).

Vorurteile Jojo ist verwirrt: Er hat noch nie mit einem Juden gesprochen und weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Dieses Mädchen sieht jedenfalls nicht aus wie ein Monster, Hörner hat es auch keine. Jojo streckt die Waffen, vergisst seine Vorurteile und verknallt sich. Zumindest zeugen davon die Zeichentrick-Schmetterlinge, die in seinem Bauch flattern. Adolf Hitler ist davon allerdings gar nicht begeistert.

Hitler als Doofmann, der viel dummes Zeug vor sich hin brummelt und einem Steppke ständig Zigaretten anbietet. Ein bisschen mehr Provokation hätte man schon erwarten dürfen. Waititi geht, basierend auf dem Buch Caging Skies von Christine Leunens, auf Nummer sicher, wo er die Gefahr hätte suchen und auf die Pauke hauen müssen. Nur die Arme hoch zu reißen und zum x-ten Mal »Heil Hitler« zu rufen, ist dann doch zu einfallslos und klamaukig; Mel Brooks grüßt schelmisch von Weitem.

Für eine Satire ist Jojo Rabbit jedenfalls nicht scharf genug, für eine Komödie nicht lustig genug. Wie denn auch, wenn fünf Leichen auf dem Marktplatz für jeden sichtbar vom Galgen baumeln und die Alliierten zu Arthur Lees »Everybody»s gotta live« ihre Bomben abwerfen?

Erwachsenwerden Doch vielleicht geht es hier auch um etwas anderes: um das Erwachsenwerden eines Jungen, um den Verlust der Unschuld, um Mitmenschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit. »Wir sind wie ihr, nur menschlicher«, sagt Elsa einmal, den Antisemitismus ad absurdum führend. »Das Leben ist ein Geschenk«, hält Rosie dagegen, die Todessehnsucht der Nazis hinterfragend.

Titeldarsteller Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie und Scarlett Johansson bringen mit ihren Darstellungen jedenfalls sehr viel Wärme in den Film. Sie sind die einzigen Figuren, die nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden, und dazu passt auch, dass am Schluss David Bowie auf Deutsch von den »Helden« für eine Nacht singt.

Als Nazi-Satire überzeugt der Film also nicht wirklich, doch funktioniert er gut als Geschichte ums Erwachsenwerden in schwierigen Zeiten, wozu auch die überzeugend aufspielenden Hauptdarsteller beitragen.

»Jojo Rabbit«, Montag, 18. April; 20.15 Uhr, ProSieben (TV-Erstausstrahlung)

Kunst

Akademie-Präsidentin gegen Antisemitismus-Klausel

»Wir haben ein gutes Grundgesetz, wir müssen uns nur daran halten«, sagt Jeanine Meerapfel

 19.04.2024

Jehuda Amichai

Poetische Stimme Israels

Vor 100 Jahren wurde der Dichter in Würzburg geboren

von Daniel Staffen-Quandt  19.04.2024

Antisemitismus

Zentralrat der Juden äußert sich zu Hallervordens Gaza-Video

Das Gaza-Gedicht des Schauspielers wurde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert

 19.04.2024

Streaming

»Bros«: Zwei Trottel, eine Bar

Die erste rein hebräischsprachige und israelische Original-Produktion für Netflix ist angelaufen

von Ayala Goldmann  18.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  18.04.2024

Verschwörungstheorien

Nach viel kritisiertem Israel-Hass-Video: Jetzt spricht Dieter Hallervorden

Der Schauspieler weist die Kritik an seiner Veröffentlichung zurück

 18.04.2024

Venedig

Israelhasser demonstrieren bei Kunstbiennale

Die Demonstranten forderten einen Boykott israelischer Künstler

 18.04.2024

Klassik

Eine Liebeserklärung an die Mandoline

Der israelische Musiker Avi Avital verleiht Komponisten wie Bach oder Vivaldi einen unverwechselbaren neuen Touch

von Christine Schmitt  18.04.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 18.04.2024