Architektur

Vom Einsteinturm zum Friedhof Allenstein

Klassiker der Moderne: Erich Mendelsohns Verlagshaus Mosse in Berlin Foto: imago

Mit einem einzigen Strich den Zeitgeist einer ganzen Generation und den Aufbruch einer ganzen Kunstepoche auszudrücken, das gelang in den frühen 20er-Jahren keinem deutschen Architekten besser als Erich Mendelsohn. Seit einigen Jahren werden seine Bauwerke wiederentdeckt, sein Oeuvre erfährt eine neue, hoch verdiente architekturhistorische Wertschätzung.

Der Einsteinturm, ein Observatorium auf dem Telegraphenberg in Potsdam, das Verlagshaus Mosse und die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin gehören zu den frühen Werken dieses Meisters des architektonischen Expressionismus, die jeder kennt und deren Eleganz und gebauter Schwung noch heute begeistern. Auch in England, Israel und den USA hinterließ Mendelsohn Bauten, die ihn bis heute zum einflussreichsten und beliebtesten deutsch-jüdischen Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts machen.

frühwerke Weniger bekannt sind Mendelsohns Frühwerke im heutigen Polen. Aus Anlass des 125. Geburtstags des Architekten hatte sich deshalb eine Gruppe Architekturfreunde zu einer Studienreise »Auf den Spuren Erich Mendelsohns« aufgemacht. Organisiert von der Berliner Mendelsohn-Stiftung und der Borussia-Stiftung in Olsztyn, dem ehemals ostpreußischen Allenstein, führte sie von Berlin zunächst nach Luckenwalde zu einer Hutfabrik von 1923, weiter über Chemnitz nach Wroclaw (Breslau) zum Kaufhaus Petersdorff und schließlich nach Olsztyn, wo Mendelsohn vor 125 Jahren geboren wurde.

Auf ihrem Weg nach Osten schauten sich die Reiseteilnehmer architektonische Leckerbissen wie das Haus Bejach in Berlin-Steinstücken und das Gebäude der Metallarbeitergewerkschaft in Berlin an, garniert mit Originalzeichnungen aus der Kunstbibliothek Berlin und dem neuen Dokumentarfilm Incessant Visions von Duki Dror, der das Leben Mendelsohns nachzeichnet. Dessen bauliches Erbe ist im Umbruch begriffen: In Allenstein wird das Bet Tahara (»Haus der Reinigung«) auf dem jüdischen Friedhof in Mendelsohns Geburtsort gerade zu einem Zentrum für Interkulturellen Dialog umgebaut. Das Kaufhaus Schocken in Chemnitz, mit seiner bogenförmigen Front mit horizontalen Fensterbändern eines der Meisterwerke der Kaufhausarchitektur der Moderne, wird zum Landesmuseum für Archäologie.

lebensstationen Die Reise folgte den frühen Lebensstationen des berühmten Architekten: Die Initialzündung von Mendelsohns Karriere nach dem Studium in München und Berlin war seine Bekanntschaft mit dem Astrophysiker Erwin Freundlich, durch den er den Auftrag zum Bau des Einsteinturms erhielt. 1918 gründete Mendelsohn sein Büro in Berlin und sechs Jahre später mit Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius die Künstlervereinigung »Ring«. 1933 emigrierte er nach England, wo er begann, Projekte in Palästina zu entwerfen. Erich Mendelsohn war seit seinen Studententagen aktiver Zionist.

1934 baute er eine Villa in Rechowot bei Tel Aviv für Chaim Weizmann, den späteren ersten Staatspräsidenten Israels. 1935 eröffnete Mendelsohn ein Büro in Jerusalem, aus dem die Entwürfe für die Villa Schocken und die Hebräische Universität, das Hadassah-Universitätskrankenhaus und die Anglo-Palestine-Bank (alle Jerusalem), sowie das Regierungskrankenhaus in Haifa hervorgingen, die bis heute als Meilensteine der Moderne in Israel gelten.

Trotz seiner Erfolge in Eretz Israel machte Mendelsohn jedoch nicht Alija, sondern ging 1941 in die USA, wo er zunächst für die Regierung auf einem Militärgelände in Utah das »Deutsche Dorf« bauen ließ, einen Nachbau deutscher Häuser für den Test von Brandbomben.

Deutlicher konnte der Bruch mit seiner alten deutschen Heimat nicht manifestiert werden. 1945 ließ er sich in San Francisco nieder und baute Synagogen in St. Louis, Cleveland, Grand Rapids und St. Paul. Erich Mendelsohn starb 1953 in San Francisco. Für eine etwaige weitere Reise der Mendelsohn-Stiftung, die 2009 in Berlin gegründet wurde, gäbe es in Israel, England und den USA noch viele Schätze zu heben.

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann wird heute mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt. Bislang schwieg sie zur scharfen Kritik an ihrer Arbeit. Doch jetzt antwortete die ARD-Journalistin ihren Kritikern

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025