Musik

Verletztlich

Die israelische Sängerin und Songwriterin Ella Ronen lebt in der Schweiz – und hat gerade ihr viertes Studioalbum veröffentlicht

von Nicole Dreyfus  30.03.2024 21:48 Uhr

Ella Ronen singt auch über Beziehungen. Foto: Massimo Rodari

Die israelische Sängerin und Songwriterin Ella Ronen lebt in der Schweiz – und hat gerade ihr viertes Studioalbum veröffentlicht

von Nicole Dreyfus  30.03.2024 21:48 Uhr

Der Name des Albums ist Programm. The Girl With No Skin subsumiert exakt, was Ella Ronens Musik ausmacht: jene Verletzlichkeit, der sich niemand im Leben entziehen kann, zum Vorschein zu bringen. Ella Ronen schält diese Vulnerabilität in ihren zehn neuen Songs, die Anfang dieses Monats beim Schweizer Musiklabel Irascible Music herausgekommen sind, aus ihrem Innersten heraus, ohne einen Hauch von Weinerlichkeit.

Roher ist dieses vierte Studioalbum als seine Vorgänger, selbstverständlich, erwachsener. Die leicht getönte Klangfarbe in ihrer Stimme, die Ronens Musik so erkennbar macht, behält sie bei, sie zieht sich durch das Album. Der Sound aber ist diesmal gehaltvoller. Manchmal rockig, schon fast wütend, fast immer direkt und klar und trotzdem hin und wieder auch sanft.

Die Songwriterin entlarvt einen Dichter, der übergriffig wurde

Entsprechend auch der Auftakt des Albums mit dem Song »Truth«, einer Singleauskopplung. Ein auf den ersten Blick feinfühlig arrangiertes Folkpop-Stück mit einem Touch Kalifornische-Wüste-Feeling, doch ganz so leichtfüßig kommt der Song dann doch nicht daher. Er hat etwas Gespenstisches und Dunkles, was sich rasch im Liedtext entpuppt: Die Songwriterin entlarvt darin einen Dichter, der übergriffig wurde. Dahinter steckt die Geschichte der 16-jährigen Ella Ronen, die in einer Bar in Tel Aviv von einem bekannten Dichter und Journalisten angesprochen wurde. Er lud sie in seine Wohnung ein, wo er ihr zu nahe kam. Die heranwachsende Frau entkam ihm.

Vor etwas mehr als einem Jahr fasste Ronen Mut, als sie sich an der Veröffentlichung eines großen Exposés, das den Dichter als Täter entlarvten sollte, beteiligte. »Truth« wurde in den angespannten Tagen vor der Veröffentlichung jenes Textes geschrieben. Ronen zeichnet darin ein eindrucksvolles Bild des alten Mannes, der herumsitzt, Tee trinkt, ab und zu ein paar Wörter notiert, nicht wissend, dass er bald enttarnt wird. »You don’t hear the glasses shake, but they do – because truth is on its way. I almost feel bad for you, now that truth is on its way.«

»Truth« wurde ebenso wie die anderen Songs in New York von Sam Cohen produziert, der schon mit Kevin Morby und Alexandra Savior gearbeitet hatte. Mit Sam Cohen verbindet Ella Ronen eine intensive Zusammenarbeit.

Die Wahlschweizerin hat persisch-ungarische Wurzeln

Wie sie jüngst in einem Radiointerview erzählte, hatte die Wahlschweizerin mit persisch-ungarischen Wurzeln erst zwei neue Songs geschrieben, als sie den Produzenten kontaktierte. Sie wollte »diesen Song schreiben, der davon handelt, wie es in einer Beziehung manchmal unmöglich ist, den anderen richtig zu sehen, obwohl man sich anschaut«. Eines Nachts wachte sie auf, »dachte über Adam und Eva nach, wie sie sich gegenüberstehen und dennoch unfähig sind, einander zu lesen. Mir wurde klar, dass ich nur die eine Seite dieses Beziehungsgefüges reflektieren kann. Das war der Moment, als ich Sam anfragte, ob wir zusammenarbeiten könnten«, erzählt Ronen dazu.

Herausgekommen ist dabei »I just want to see you«, ein Duett von Cohen und Ronen. Die 37-jährige Sängerin und Songwriterin, die seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz lebt, erklärt ihrem Publikum den Zustand einer Beziehung, die in einer Sackgasse landet, wenn Erwartungen, Ängste, manchmal auch Klischees vorhanden sind und der echte Mensch nicht mehr gesehen wird.

Sozialisierungen durch die Gesellschaft sind ebenso Thema in Ronens Songtexten. Sie macht persönliche Erfahrungen melodiös nahbar. Die Künstlerin, die in Dichtkunst und englischer Literaturwissenschaft promovierte, schafft es meisterhaft, Worte für innere wie äußere Zustände zu finden. So fasst sie auch jene Phase im Leben, die im Alltag oft mit »Midlife« definiert wird, in ihrem wohl poppigsten Stück auf dem Album zusammen.

Seilkünstler Philippe Petit inspirierte Ronen zu »Tightrope«. Man befindet sich in der Mitte, will gleichzeitig zurück und vorwärts, man hat schon vieles erreicht, doch manchmal möchte man nur das kleine Kind von früher sein. Der Weg, der noch vor einem liegt, ist aber noch lang, die Herausforderungen warten. Ella Ronen ist dieser Balanceakt mit ihrem neuen Album gelungen.

Medien

Michel Friedman ist neuer Herausgeber des »Aufbau«

Die Zeitschrift »Aufbau« erfindet sich mal wieder neu. Diesmal soll Michel Friedman das 90 Jahre alte Blatt modernisieren. Der Journalist und Autor hat viel vor

von Sophie Albers Ben Chamo  23.01.2025

Oscars

»Der Brutalist« und »A Complete Unknown« nominiert

Adrien Brody und Timothée Chalamet sind auch als »Beste Hauptdarsteller« nominiert

 23.01.2025

Kulturkolumne

Sprachnachrichten als Zeitzeugnisse

WhatsApps auf Jiddisch von Regina Steinitz aus Israel

von Maria Ossowski  23.01.2025

Kino

»The Brutalist« - Packendes Filmepos über die Gegenwart der Vergangenheit

In 70mm gedrehtes herausragendes Filmepos über einen dem Holocaust entronnenen Architekten, der in den USA mit einem gigantischen Bauwerk seinen Traumata zu entkommen hofft

von Rüdiger Suchsland  23.01.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  23.01.2025

Lebensmelodien

Musik ist die beste Rache

Am 27. Januar erinnert die UN-Vollversammlung mit Werken verfolgter jüdischer Komponisten an die Schoa – das Projekt entstand in Berlin-Schöneberg

von Ayala Goldmann  23.01.2025

Mel Gibson

»Make Hollywood Great Again«

US-Präsident Donald Trump hat den Regisseur und Schauspieler zu seinem »Sonderbotschafter« ernannt – zusammen mit Sylvester Stallone und Ron Voigt

von Sophie Albers Ben Chamo  23.01.2025

Songcontest

Überlebende des Nova-Massakers vertritt Israel beim ESC

Yuval Raphael ist noch ein Neuling in der Musikbranche

 23.01.2025

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Medien feiern den Berliner als »deutsche Stimme aus Gaza«, dass er den Terror der Hamas verharmlost, scheint sie nicht zu stören

von Susanne Stephan  23.01.2025 Aktualisiert