Biografie

Vergeblich angepasst

Irène Némirovsky 1903–1942 Foto: Ullstein

Biografie

Vergeblich angepasst

Kiew, Paris, Auschwitz: Das Leben der französischen Schriftstellerin Irène Némirovsky

von Harald Loch  22.06.2010 07:33 Uhr

Ihr Leben begann 1903 in Kiew, erblühte in der Zwischenkriegszeit in Paris und endete im August 1942 in Auschwitz. »Wie konnte es nur geschehen, dass eine Star-Autorin der 1930er-Jahre wie Irène Némirovsky so in Vergessenheit geraten ist?«, fragte im Sommer 2007 die Zeitung Le Monde rhetorisch, kurz vor der Veröffentlichung der jetzt in der fabelhaften Übersetzung von Eva Moldenhauer auf Deutsch vorliegenden Némirovsky-Biografie von Olivier Philipponnat und Patrick Lienhardt.

Drei Jahre zuvor war posthum der Roman Suite française erschienen, über die große Flucht in den unbesetzten Süden Frankreichs, als im Sommer 1940 die deutsche Armee vor Paris stand. Das Buch hat unter seinem französischen Originaltitel auch in Deutschland Furore gemacht und das Interesse an dieser hierzulande zuvor völlig unbekannten Autorin geweckt. Die Lebensbeschreibung wiederum wird die Neugier auf ein Werk verstärken, das zu entdecken sich lohnt. Nur 39 Jahre alt ist Irène Némirovsky geworden. Aber die der Biografie angefügte Werkbibliografie umfasst allein 15 Romane, vier bedeutende biografische Werke über Anton Tschechow, über 50 Novellen, außerdem Drehbücher und zahlreiche Aufsätze.

assimiliert Irène Némirovsky, die sich von klein auf ein Leben ohne zu schreiben nicht vorstellen konnte, entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Kiew, die nach der Oktoberrevolution nach Paris floh. Dort heiratete sie den ebenfalls aus Russland emigrierten Bankier Michel Epstein, bekam zwei Töchter und wurde durch ihren 1929 erschienenen Roman David Golder schlagartig berühmt. Als Star der Pariser Literaturszene, materiell durch Herkunft und Heirat bestens abgesichert, gehörte Némirovsky zur guten französischen Gesellschaft, gegen deren Überheblichkeit und Realitätsferne sie aber nie betriebsblind war. Der in ihrer Wahlheimat virulente Antisemitismus setzte ihr zu, ihre späten Einbürgerungsversuche scheiterten an einer trägen und abweisenden Bürokratie. Dabei war Irène Némirovskys Verhältnis zum Judentum so gebrochen, dass sie – vielleicht auch ein wenig aus letztlich tragisch gescheitertem Opportunismus – zum katholischen Glauben übertrat.

Während der Frühzeit des Regimes von Vichy schrieb sie für Blätter, die der Kollaboration nicht fernstanden. An diesen Stellen wird die Biografie, die sich auch alles Persönlichen, Familiären annimmt, zur aufklärenden Geschichtsschreibung über diese dunkle Zeit Frankreichs, in der die Gendarmerie von Vichy jüdische Flüchtlinge »einsammelte« und sie den Deutschen zur Ermordung übergab. Vier wiedergefundene Interviews mit Némirovsky runden das in dem Buch selbst schon sehr genau gezeichnete Bild dieser Autorin mit Originaltönen ab; ein gut zusammengestellter Bildteil illustriert dieses Leben, dessen bleibendes Werk uns beinahe verloren gegangen wäre.

Olivier Philipponnat und Patrick Lienhardt: »Irène Némirovsky – Die Biographie« Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer Knaus, München 2010, 576 S., 29,95 €

Andrea Kiewel

»Sollen die Israelis sich abschlachten lassen?«

Die »Fernsehgarten«-Moderatorin äußert sich im »Zeit«-Magazin erneut deutlich politisch zu ihrer Wahlheimat

 07.07.2025

Kino

Weltweit ein Kultfilm - doch hierzulande fast unbekannt

Eines der erfolgreichsten Film-Musicals überhaupt lockt viele Touristen nach Salzburg – doch im deutschsprachigen Raum ist der jetzt 60 Jahre alte Kultfilm »The Sound of Music« kaum bekannt

von Gregor Tholl  07.07.2025

Judenhass

Zwei Verfahren gegen Xavier Naidoo anhängig

Der Sänger plant ein Comeback. Dass er sich vor Jahren in Verschwörungserzählungen »verrannt« hat, bereut er. Für die Justiz ist das Ganze damit aber noch nicht erledigt. Es geht um »Inhalte mit antisemitischem Charakter«

 07.07.2025

Geburtstag

Mit dem Cello in Auschwitz: Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie überlebte die Schoa als »Cellistin von Auschwitz« und ist eine der bekanntesten Zeitzeuginnen: Anita Lasker-Wallfisch. Mit einem besonderen Geburtstag triumphiert sie nun über den Vernichtungswahn der Nazis

von Leticia Witte  07.07.2025

Kino

Jüdischer Superman fliegt los

David Corenswet rettet die Welt. Der Kinostart rückt immer näher. Seit 1938 haben mehrere Juden entscheidend zum Erfolg des fliegenden Helden beigetragen

von Imanuel Marcus  07.07.2025

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  07.07.2025 Aktualisiert

Biografie

Autogramme, die die Welt bedeuteten

Wie die Fußballleidenschaft von Tom Tugend das Leben des jüdischen Journalisten prägte

von Martin Krauß  06.07.2025

Britische Band »Oi Va Voi«

»Das schlagende Herz des Albums«

Die Musiker haben den Song »Dance Again« in ihrem neuen Album den Opfern des Nova-Festivals gewidmet. Ein Gespräch über Mitgefühl, Hoffnung und die Wut nach Konzertabsagen

von Katrin Richter  06.07.2025

Aufgegabelt

Melonensalat mit gebackenem Halloumi

Rezepte und Leckeres

 06.07.2025