Wuligers Woche

Unter Verdacht

Die Berufskrankheit der Intellektuellen ist die Selbstüberschätzung. Foto: Getty Images / istock

Wuligers Woche

Unter Verdacht

Aleida Assmann, der Streit um den afrikanischen Philosophen Achille Mbembe und der Antisemitismus

von Michael Wuliger  07.05.2020 08:43 Uhr

Jeder Beruf hat seine spezifische Krankheit. Bei Bergleuten ist es die Staublunge, bei Dachdeckern Rückenbeschwerden. Die Berufskrankheit der Intellektuellen ist die Selbstüberschätzung. Schriftsteller, Akademiker und Künstler fühlen sich chronisch berufen, zu Fragen Stellung zu beziehen, die jenseits ihrer eigentlichen Kenntnis liegen.

Aleida Assmann ist eine renommierte Literaturwissenschaftlerin. Seit sie 2018 gemeinsam mit ihrem Gatten Jan den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, zählt die Konstanzer Professorin zu den angesehensten deutschen Intellektuellen. Ihr Wort hat Gewicht. Jetzt hat sie dieses Gewicht in die Waagschale geworfen, um sich in der Antisemitismusdebatte zu positionieren.

RUHRTRIENNALE Anlass ist der Streit um den afrikanischen Philosophen Achille Mbembe. Der sollte bei der inzwischen abgesagten Ruhrtriennale die Eröffnungsrede halten. Das stieß auf Protest: Mbembe wurde vorgeworfen, in seiner Israelkritik die Grenze zum Judenhass zumindest gelegentlich überschritten zu haben. »Nanoantisemitismus« nannte das Jürgen Kaube in der FAZ. Dagegen hat Aleida Assmann, gemeinsam mit einer Reihe anderer Akademiker, Mbembe in einer öffentlichen Solidaritätserklärung in Schutz genommen. Damit aber nicht genug. In der »Berliner Zeitung« hat sie sich am Montag dieser Woche auch noch an der Grundsatzfrage versucht, was Antisemitismus sei.

Selbstverständlich gibt es Judenhass, konzediert die Autorin – bei den anderen.

»Gegen ein Klima des Verdachts« lautet der programmatische Titel des Textes, der damit die Stoßrichtung vorgibt. Selbstverständlich gibt es Judenhass, konzediert die Autorin – bei den anderen: »Die Verbreitung des Giftes des Antisemitismus in rechten Gruppierungen und im Internet hat eine neue Qualität bekommen.« In den eigenen, progressiven Kreisen dagegen muss man das differenzierter sehen, vor allem, wenn es um die BDS-Boykottbewegung geht, der nahezustehen Mbembe attestiert worden war. Bei der handele es sich um ein im Prinzip honoriges Unterfangen, »eine Bewegung des gewaltlosen politischen Widerstandes gegen die fortschreitende Besetzung der palästinensischen Gebiete durch den israelischen Staat«.

GEWÄHRSMÄNNER Fragwürdig dagegen sind die BDS-Gegner. Zum Beweis zitiert Aleida Assmann zwei »mir bekannte und sehr respektierte Wissenschaftler«, die zufällig auch ihre Petition mitunterschrieben haben. Der eine ist Wolfgang Benz, ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin. Für Benz ist BDS bloß eine »israelkritische Bewegung«. Wer ihr Antisemitismus vorwirft, habe »primär ein politisches Interesse – und kein Interesse an Aufklärung und Frieden«. Assmanns »anderer Gewährsmann ist Moshe Zimmermann, Historiker an der Hebräischen Universität in Jerusalem. ... Er sieht in diesen Zuordnungen eine ›Technik des Mundtotmachens‹ im Interesse der israelischen Regierung«.

So einfach ist das. Wer anders denkt, tut dies aus niederen Motiven. Intellektuell ist das ein bisschen dürftig. Und unredlich dazu. Aleida Assmann ist gegen ein »Klima des Verdachts« angetreten. Am Ende ist sie’s selbst, die dieses Klima schürt.

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025