Akademie der Künste

Unter die Lupe nehmen

Es gibt Themen, die brauchen erst einen handfesten Skandal und viel Medienrummel, damit sie überhaupt von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Der Fall des 2014 verstorbenen Kunsthändlers Cornelius Gurlitt war so eines. Rund 1500 Werke bedeutender Künstler fand man 2012 in der Münchner Privatwohnung des Sohnes eines bekannten NS-Kunsthändlers, weshalb schnell die Frage aufkam, welche und wie viele davon wohl Raubgut sein könnten.

FACHDISZIPLIN Damit schlug die große Stunde der Provenienzforschung, jener Fachdisziplin, die die Herkunft und Geschichte von Artefakten klären soll, damit – wenn nötig und möglich – Restitutionsverfahren eingeleitet werden können.

Doch es steckt weiteres dahinter, wie die Macher der Ausstellung Spurensicherung – Die Geschichte(n) hinter den Werken betonen, die jetzt in der Berliner Akademie der Künste präsentiert wird. »Provenienzforschung bedeutet mehr als die Klärung von Eigentumsverhältnissen und die Wiedergutmachung historischen Unrechts«, heißt es in dem Ankündigungstext. »Sie ermöglicht eine neue und andere Sicht auf altbekannte Werke.«

Oder wie es Werner Heegewaldt, Direktor des Archivs der Akademie der Künste, auf den Punkt bringt: »Wir wollen den Provenienzforschern quasi über den Rücken schauen.« Das erklärt auch das omnipräsente Lupenmotiv. »Es geht um die spannende und bewegende Geschichte von Kunstwerken und ihre verschlungenen Wege, die in unsere Sammlung führten.« All das stecke hinter dem, wie Heegewaldt es formuliert, »etwas sperrigen Begriff«. Und es dreht sich nicht nur um Gemälde oder Skulpturen, sondern ebenfalls um Skizzenbücher, Manuskripte oder Bibliotheksbestände und Möbel. »Alles kann Gegenstand der Provenienzforschung sein.«

PUBLICITY Wie spannend das Thema ist, zeigt exemplarisch »Der schwarze Pierrot«, ein großformatiges Gemälde des Malers Fritz Erler von 1908. Vier Jahre zuvor hatte er, bemüht um Publicity, einen martialischen Fechter mit erhobenem Säbel gemalt, der jedoch von der Kritik verrissen wurde. Bald schon galt das Bild als verschollen, man vermutete, dass der Künstler es selbst zerstört hatte.

»Niemand ahnte, dass Erler sein eigenes Werk bereits 1908 anlässlich eines Karnevalsfestes übermalt und somit den Fechter in einen ›Schwarzen Pierrot‹ mit Blumenstrauß verwandelt hatte«, heißt es dazu im Begleitheft zur Ausstellung. Erst die Provenienzforschung der Gegenwart lüftete die wahre Geschichte des Bildes.

Es geht nicht nur um Gemälde, sondern auch um Bibliotheksbestände oder Möbel.

Und sie ging noch weiter. Schließlich übernahm 1910 der jüdische Galerist Heinrich Thannhauser den »Schwarzen Pierrot«. Ob sein Sohn Justin das Gemälde veräußern musste, um seine Flucht vor den Nationalsozialisten ins Ausland zu finanzieren, und wie es dann in den Besitz der Akademie der Künste kam, die 1951 das Werk an die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin weitergab, bis es 1993 wieder an die Akademie retourniert wurde – diese Fragen zeigen: Es ist ein Werk voller Widersprüchlichkeiten. Hier besteht weiterer Recherchebedarf, weshalb der »Schwarze Pierrot« in die Provenienzkategorie »bedenklich« eingestuft wurde.

»390 Objekte aus den Beständen der Akademie der Künste sind von uns untersucht worden«, weiß Doris Kachel zu berichten. »Bei einer ersten systematischen Überprüfung bewerteten wir sieben davon als ›bedenklich‹«, so die Provenienzforscherin. »Vier von ihnen sind in der Ausstellung zu sehen.« Abgeschlossen ist das Ganze noch lange nicht. »Es ist allenfalls eine Momentaufnahme, und die wollen wir nun zeigen.«

Dabei verweist sie auf eines der Exponate, und zwar ein Skizzenbuch mit Zeichnungen des jüdischen Malers Max Liebermann, das 2005 auf einer Auktion in München von der Akademie der Künste erworben wurde. Auch dieses erzählt eine dramatische Geschichte, die nur durch die intensive Provenienzforschung – zumindest teilweise – ans Tageslicht kam.

GESTAPO So hatte Martha Liebermann, die Witwe des 1935 verstorbenen Malers, alle nichtsignierten Werke mit einem Nachlassstempel versehen. 1943 dann sollte sie nach Theresienstadt deportiert werden, beging aber kurz zuvor Suizid. Die Gestapo versiegelte die Wohnung und erfasste das gesamte Inventar, darunter drei Skizzenbücher. »Doch es gibt auch Hinweise auf eine mögliche Veräußerung des Skizzenbuchs an Prinz Johann Georg von Sachsen. Gesichert ist das jedenfalls nicht. Das Schicksal der Zeichnungen ist für die Jahre 1935 bis 1943 kaum zu klären.« Nur eines scheint laut Expertenmeinung sicher, und zwar ein »verfolgungsbedingter Entzug«.

»Gerade weil der Verlust der Kunstwerke häufig mit Krieg und Repression verbunden war, ist eine Klärung für die Beteiligten so wichtig«, lautet dazu die Einschätzung von Archivdirektor Heegewaldt. »Das gilt für das koloniale Erbe ebenso wie für NS-Raubkunst oder Fälle von Kunstgutentzug in der DDR, auch wenn sich die Problemlagen stark unterscheiden.« Und Kachel ergänzt: »Es gibt viele spannende Fälle, bei denen auch die Frage nach der Werkidentität geprüft werden muss – also ob vielleicht auch ein weiteres, sehr ähnliches existiert.«

Alle Facetten dieser spannenden Detektivarbeit spiegelt die Ausstellung Spurensicherung auf eindrückliche wie auch verständliche Weise wider.

Die Ausstellung »Spurensicherung. Die Geschichte(n) hinter den Werken« ist bis zum 22. Januar 2023 in der Akademie der Künste in Berlin zu sehen.

Andrea Kiewel

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