DP-Camps

Unter dem Schutz der Alliierten

Detailliert und doch sehr gut lesbar. Foto: Kiepenheuer & Witsch

DP-Camps

Unter dem Schutz der Alliierten

Zwei Autoren beschreiben, wie osteuropäische Juden ausgerechnet in Deutschland ein neues Leben begannen

von Harald Loch  20.06.2017 17:18 Uhr

Gibt es so etwas wie »exterritoriale Geschichte«? Und gibt es in der neueren Geschichte der Juden in Europa so etwas wie eine »vergessene Zeit«? Ja, vermuteten die beiden Publizisten Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth und machten sich für ihr Buch Als die Juden nach Deutschland flohen auf die Suche nach ebenjener verlorenen Zeit. Gefunden haben sie sie in Deutschland nach 1945, dem gerade besiegten und durch unsägliche Verbrechen selbst besudelten Land. Hierher, ausgerechnet in dieses Land, strömten in den Jahren 1946/47 etwa 300.000 Juden aus Osteuropa.

Sie flohen vor allem aus Polen, aber auch aus anderen kommunistischen Staaten, vor teils tödlichen antisemitischen Ausschreitungen. Die Flüchtlinge wollten nach Palästina, um dort in einem künftigen Staat Israel endlich in ein Land zu gelangen, wo sie willkommen waren. Doch von Osteuropa aus blieb ihnen nur der Weg nach Westen, nach Deutschland, ins Land der Täter.

Displaced Persons Die jüdischen Flüchtlinge aus Osteuropa waren nicht die einzigen, die von Deutschland aus eine neue Heimat finden wollten. Mehrere Millionen ehemalige Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Flüchtlinge geisterten durch das verwüstete Land: »Displaced Persons« (DPs) waren zu registrieren und zu versorgen. Nach alliierter Definition waren es all jene, »die sich aus Kriegsfolgen außerhalb ihres Staates befinden, die zwar zurückkehren oder eine neue Heimat finden wollen, dieses aber ohne Hilfestellungen nicht zu leisten vermögen«.

Zunächst wurden die Staatenlosen unterschiedslos in Hunderten von kleinen DP-Camps notdürftig untergebracht. Als die geflohenen Juden hinzukamen, wurde bald klar, dass sie in gesonderten Lagern zusammenleben sollten. Die Lager waren von der deutschen Umgebung abgeschirmt: Weder wollten die geflüchteten Juden mit Deutschen in Berührung kommen, noch die nach wie vor von der NS-Propaganda antisemitisch infizierten Deutschen mit den ihrer Auffassung nach privilegierten Juden im Lager.

Detailliert und doch sehr gut lesbar beschreiben Föhrding und Verfürth in ihrem Buch die bislang nur selten erzählte Geschichte der DPs entlang des Schicksals der in Lodz geborenen Lea Waks. Sie überlebte als Kind das dortige Ghetto und floh, als nach dem Krieg die Pogrome in Polen aufflammten, mit ihrer Familie in den Westen. Für sie war die amerikanische Zone das bevorzugte Ziel. Aufschlussreich sind die Passagen über die markanten Unterschiede zwischen der wenig empathischen Behandlung der jüdischen DPs durch die Briten und dem verständnisvollen Umgang durch die Amerikaner.

Palästina Alles hing damit zusammen, dass Großbritannien als Mandatsmacht von Palästina mit allen Mitteln eine massenhafte Einwanderung von Juden dorthin zu verhindern suchte, während die USA den ersehnten Weiterzug in das erst noch zu gründende Israel förderten.

Besonders eindrucksvoll und lebhaft sind in dem Buch die Schilderungen des Alltags im DP-Camp: Geburten, Hochzeiten, die sich langsam wieder entwickelnde religiöse Infrastruktur, die Versuche, im Handwerk oder kleinen Kibbuzim Fuß zu fassen, erste Auswanderungen und die Rückkehr von enttäuschten Migranten. Erschreckend dagegen sind die vielen dokumentierten unglaublichen Reaktionen deutscher Behörden nach der Übertragung der Hoheit von den Alliierten auf die Bundesrepublik, die den reaktionären Muff der Adenauer-Ära erkennen lassen.

Das letzte Lager im bayerischen Föhrenwald wurde erst 1957 aufgelöst, die dortigen Wohnbaracken wichen profitableren Wohnhäusern, die heute nochmals gewinnbringenderen Eigentumsanlagen Platz gemacht haben. Kaum eine Gedenktafel erinnert an diese Phase exterritorialer jüdischer Geschichte auf deutschem Boden.

Lea Waks ist mit ihrem Mann in Deutschland geblieben. Nach 1945 war sie in der Erinnerungsarbeit aktiv und engagierte sich für das Thema »jüdisches Leben vor der Schoa«. Ihre Kinder leben teilweise in Israel, wie viele Nachkommen der »Displaced Persons«. Deren Zwischenstationen auf deutschem Boden wurden bislang kaum beschrieben. Diese Lücke ist nun endlich durch das großartige Geschichtsbuch von Föhrding und Verfürth geschlossen worden.

Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth: »Als die Juden nach Deutschland flohen. Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 352 S., 24 €

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025