Debatte

Unscharfe Kritik

Foto: PR

Debatte

Unscharfe Kritik

Ein neuer Sammelband beschäftigt sich mit den Diskussionen um Antisemitismus in Deutschland. Das Resultat jedoch irritiert

von Ralf Balke  01.08.2020 22:25 Uhr

Wolfgang Benz, ehemals Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin, sieht eine Gefahr am Horizont. »Fanatiker« sowie »nörgelnde Kritiker« würden einen »Feldzug« gegen renommierte Wissenschaftler führen, allen voran den früheren Leiter des Jüdischen Museums in Berlin, Peter Schäfer, sowie den Postkolonialismus-Theoretiker Achille Mbembe.

»Außerdem sind Aktivisten auf den Plan getreten, deren Eifer im Aufspüren, Brandmarken, Verfolgen und Unschädlichmachen von Antisemitismus und Antisemiten nicht immer mit Sachkunde einhergeht.« Genau deswegen haben er und 14 weitere Autoren sich in einem neuen Sammelband zusammengetan, um die Probleme in der Debatte endlich beim Namen nennen zu können.

MOBBING Das klingt erst einmal sehr spannend, vor allem deshalb, weil Benz sowie einige der anderen Autoren wie Juliane Wetzel oder Micha Brumlik durchaus im Ruf stehen, Fachleute auf diesem Gebiet zu sein. Doch nach wenigen Seiten bereits stellt sich bei der Lektüre ein mulmiges Gefühl ein. »Wenn selbst Schüler, die auf dem Schulhof ihre Mitschüler mit ›Du Jude‹ beschimpfen, als Antisemiten tituliert werden, dann läuft etwas ziemlich schief«, erklärt beispielsweise Juliane Wetzel vom ZfA.

Jüdische Schüler, die entsprechend gemobbt wurden, dürften das wohl anders sehen. Doch das hat für die Expertin keinerlei Relevanz: »Selbst betroffen zu sein, ist nicht gleichzeitig auch eine Gewähr dafür, die Situation nüchtern einschätzen zu können. Es ist nicht notwendig, einer Minderheit anzugehören, um die Bedrohungslage und das Diskriminierungspotenzial zu bewerten.«

Die mangelnde Empathie gegenüber den Opfern judenfeindlicher Übergriffe ist noch das geringste Problem.

Diese wenigen Sätze offenbaren bereits die zentralen Defizite, an denen das Buch leidet, wobei die mangelnde Empathie gegenüber den Opfern judenfeindlicher Übergriffe, die sich in diesen Zeilen zeigt, noch das geringste Problem ist. Viel schwerer wiegt die Tatsache, dass sich die Autoren weigern, Antisemitismus überhaupt als Begriff zu definieren.

Und das aus gutem Grund. Denn es beschäftigt sie etwas ganz anderes, und das ist die Islamophobie, die als das eigentliche große gesellschaftliche Problem immer wieder genannt wird. Vor allem Benz insistiert darauf, Äpfel mit Birnen vergleichen zu dürfen, also den Versuch, die ideengeschichtlichen Hintergründe des Hasses auf Muslime mit denen, die für die Feindschaft gegen Juden verantwortlich sind, in einen Kontext zu setzen. Begriffsdefinitionen können da nur hinderlich sein.

VERHARMLOSUNG Oder man betreibt Verharmlosung, so wie Michael Kohlstruck, ebenfalls vom ZfA. Er bezeichnet die Prügelattacke von 2018 auf einen Kippaträger in Berlin lieber als »jungmännertypisches Macht- und Selbstdarstellungsgebaren im politischen Kontext des Nahostkonflikts«, weil das »differenzierter« sei, als direkt von Antisemitismus zu sprechen.

Ärgerlich sind ebenfalls eklatante Fehler. So schreibt Daniel Bax, dass nicht einmal die Hälfte der »schätzungsweise 120.000 Menschen jüdischer Herkunft« Mitglieder jüdischer Gemeinden seien, weshalb der Zentralrat der Juden in Deutschland nur bedingt für die »jüdischen Perspektiven« stehe. Ein Blick in die Statistiken hätte ihn da eines Besseren belehrt. Und so entsteht der Eindruck, dass die Autoren eine ganz eigene Agenda haben: Sie wollen die Lufthoheit in den Diskussionen über Antisemitismus. Und das mit allen Mitteln. Auch mit dem Herunterspielen des Phänomens.

Wolfgang Benz (Hrsg.): »Streitfall Antisemitismus – Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen«. Metropol, Berlin 2020, 328 S., 24 €

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Süchtig nach Ruhamas Essen oder Zaubern müsste man können

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025