Biografie

Ungleiche Brüder

Familienfoto:. Edgar (2. v.l.) und Manfred Hilsenrath (r.) mit ihren Eltern (M.) ca. 1956. Ganz links Manfreds Ehefrau. Foto: Dittrich

Die Brüder Edgar und Manfred Hilsenrath stammen aus einer Leipziger Kaufmannsfamilie und wuchsen in Halle an der Saale auf. Edgar, der Ältere wurde 1926 geboren, sein Bruder Manfred kam 1929 zur Welt. Für ihre Generation war das Judesein in Deutschland lebensgefährlich. Die Mutter floh deshalb 1938 mit den damals zwölf und neun Jahre alten Söhnen zu den Großeltern nach Siret in Rumänien. Doch auch dort kamen zwei Jahre später mit Nazi-Deutschland verbündete Faschisten an die Macht. Sie deportierten die Mutter und die beiden Söhne ins Ghetto Mogilew-Podolsk in der heutigen Ukraine, nachdem der Vater vergeblich versucht hatte, für die Familie ein Visum für die USA zu bekommen.

amerika Nach der Befreiung durch die Rote Armee 1944 schlug sich Edgar auf abenteuerlichen Wegen nach Eretz Israel durch, wurde dort aber nicht heimisch. Der 15-Jährige kehrte zunächst zu seiner mittlerweile in Frankreich lebenden Familie zurück. 1951 versuchte er gemeinsam mit dem jüngeren Bruder sein Glück in Amerika. Sie gingen nach New York.

Edgar, der schon als Kind davon träumte, Schriftsteller zu werden, braucht Jahre, bis er sein erstes Buch Nacht 1964 bei Kindler und zwei Jahre später bei Doubleday in den USA veröffentlichen kann. Manfred hat ein Faible für Technik, wird Ingenieur und macht in den USA Karriere. Edgar, der die deutsche Sprache liebt, zieht 1975 zurück nach Deutschland, lässt sich in Berlin nieder und wird ein hochangesehener Schriftsteller, der sich in seinen Büchern in einzigartig sarkastischer Manier mit der Schoa auseinandersetzt. Amerika, wo er sich jahrelang mühsam mit prekären Jobs durchschlagen musste, sieht er mit herzlicher Antipathie. Manfred dagegen bleibt in den Staaten, nimmt den American Way of Life an und lässt sich mit seiner Familie in Kalifornien nieder.

sensibel Den so ungleichen Geschwistern hat Volker Dittrich ein Doppelporträt gewidmet, das er aus Interviews und Gesprächen mit ihnen entwickelte. Dittrich, der als Verleger, vor allem aber als Freund den inzwischen 86-jährigen Edgar Hilsenrath betreut, stellt den Erinnerungen der Brüder Textpassagen aus Edgars Büchern gegenüber. Da fließt eine Menge zusammen: biografische Um wege, geografische Neuanfänge, literarische Reminiszenzen, Kritisches und Skandalöses. Dabei wird deutlich, dass Manfred, der jüngere Bruder, sein Erinnertes nahezu deckungsgleich im erzählerischen Werk des Älteren wiederfindet.

Vor allem – und das ist der Gesprächsführung von Volker Dittrich zu danken – werden die frühen traumatischen Erfahrungen, die Zeit der Verfolgung und Verstörung mit außerordentlicher Sensibilität aus dem Gedächtnis beider Hilsenraths abgerufen. Wer verstehen will, wie die Themen Edgar Hilsenraths, wie die Figuren in seinen Büchern entstanden sind, aus welcher Angst und Besessenheit sich diese Melange von Schrecken und Satire entwickelt hat, wird auf die Lektüre dieses klugen Doppelporträts nicht verzichten können.

Volker Dittrich: »Zwei Seiten der Erinnerung. Die Brüder Edgar und Manfred Hilsenrath«. Dittrich, Berlin 2012, 254 S., 17, 8o €

Rezension

Ein radikales Drama, das Fragezeichen setzt

Jonathan Glazers Auschwitz-Drama »Zone of Interest« hat den Großen Preis der Jury in Cannes gewonnen

von Josef Lederle  27.05.2023

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 25.05.2023

"Days Beyond Time"

Holocaust-Ausstellung aus Israel macht Station in Siegen

Für die Schau haben israelische Künstler Gespräche mit Holocaust-Überlebenden geführt und deren Berichte in Werke übertragen

 25.05.2023

Mögliches NS-Raubgut

BGH verhandelt zu bemäkeltem Bild in Datenbank

Es geht um das Gemälde »Kalabrische Küste« des Malers Andreas Achenbach

 25.05.2023

Konzert

Noch schlimmer als erwartet

Roger Waters lieferte anti-israelische Propaganda in der größten Halle Berlins

von Imanuel Marcus  25.05.2023

Aufgegabelt

Bureka-Rezept von Samys Mama

Rezepte und Leckeres

 25.05.2023

Glosse

Was der einstürzende Berg in Brienz mit Schawuot zu tun hat

Die Wissenschaftler sagen, es gebe drei Szenarien

von Beni Frenkel  25.05.2023

Sehen!

Sivan Ben Yishai

Die israelische Dramatikerin wurde mit dem Theaterpreis Berlin ausgezeichnet

 25.05.2023

Film

18 Pillen am Tag

Nan Goldins Leben und ihr Kampf gegen die Pharmaindustrie stehen im Mittelpunkt einer Dokumentation von Laura Poitras

von Katrin Richter  25.05.2023