Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Foto: Getty Images

Dies klingt ein wenig geprahlt, aber es verbirgt sich Grundsätzliches dahinter. Einmal die Speisekarte überfliegen? 20 Sekunden. Egal, wie viele Zubereitungsarten von Hühnchen, Lamm, Hummus oder Schakschuka das Restaurant präsentiert. Ich gehöre zur Fraktion der Sofortaussucher, der Spontanentscheider, der Zweifelfrei-Besteller. Die andere Gruppe studiert Vorspeisen so lange, wie unser Lager der Instantwisser fürs gesamte Essen inklusive Dessert braucht.

Wir Schnellentschlossenen schätzen das Bauchgefühl, nicht nur beim Dinieren. Ob ein neues Brillengestell (15 Minuten), eine Couch (20 Minuten) oder ein Auto (ok, anderthalb Stunden): Ich vertraue dem Instinkt. Das Abwägen, die Pro-und-Contra-Listen im kleinen Alltäglichen halten nur vom Wesentlichen ab. Vom Lesen, vom Lieben, vom Mann beim Kochen zuschauen, vom Nachdenken, vom Träumen, vom Schreiben für diese Zeitung, vom Katzenstreicheln.

Springen wir mit Maimonidesʼ klugem Diktum in die Neuzeit.

Moses Maimonides hat sich vor 800 Jahren in das Problem vertieft und resümiert: »Das Risiko einer falschen Entscheidung ist dem Schrecken der Unentschlossenheit vorzuziehen.« Der jüdische Weise und Arzt aus Andalusien, dessen berühmtes Werk Führer der Unschlüssigen Glaube und Wissenschaft zu versöhnen suchte, philosophierte zu Zeiten, in denen die Auswahl zwischen Angeboten des Alltäglichen im Gegensatz zu heute recht überschaubar war.

Ihm ging es beim Lob der schnellen Entscheidung also nicht um Bourekas (herzhaftes Gebäck) oder Medias (halbiertes Gemüse in Tomatensoße). Sondern um Wichtigeres. Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen? Springen wir mit Maimonidesʼ klugem Diktum in die Neuzeit.

Sigmund Freud scheint den Schnellentschlossenen zu widersprechen: »Wenn ich eine Entscheidung von geringer Bedeutung treffe, habe ich es immer als vorteilhaft empfunden, alle Vor- und Nachteile abzuwägen.« Das heißt jedoch im Umkehrschluss: Bei Bedeutendem, Essenziellem folgt er seinem Unbewussten, das allerdings geprägt war von jenem Wissen, das ihn zum elementaren Denker seiner Zeit machte. Wie jeder große Geist lässt Freud Widersprüche zu. Es sei »nur Illusion, wenn man von der Intuition etwas erwartet«.

Mit unserer inneren Stimme, so zwei bekannte Seelenforscher unserer Zeit, Gerd Gigerenzer und Daniel Goldstein, erzielen wir oft bessere Ergebnisse als mit durchrationalisierten Entscheidungen. Gigerenzers Sachbuch Bauchentscheidungen beschäftigt sich mit der Frage, auf welchen kognitiven, evolutionären und sozialen Faktoren unser sogenanntes Bauchgefühl beruht.

Können wir auch in großen Fragen unserem Instinkt trauen?

Können wir auch in großen Fragen unserem Instinkt trauen? Wenn wir uns entscheiden müssen zwischen zwei Partnern, mit denen wir das Leben teilen möchten? Wenn wir zwischen Orten wählen sollen, an denen wir leben wollen, zwischen Behandlungsmethoden bei ernsten Krankheiten? Gigerenzer und auch Goldstein haben dazu geforscht und oft festgestellt: Auch wenn wir Listen anlegen und wochenlang abwägen, gibt es einen plötzlichen inneren Impuls, der entscheidet.

Wer auf diesen Impuls wartet, bevor er am 23. Februar die Wahlkabine aufsucht, tröste sich bis dahin mit der britischen Rabbinerin Nancy Morris, die meint, es gebe Themen, bei denen es von Vorteil sei, eine Entscheidung abzuwarten. Wenn man sich ein wenig Zeit lässt, damit das Gehirn alles abwägen kann, entsteht oft ein effektiver Entschluss.

Leserbriefe

»Es gibt uns, nichtjüdische Deutsche, die trauern und mitfühlen«

Nach der Sonderausgabe zum Schicksal der Familie Bibas haben uns zahlreiche Zuschriften von Lesern erreicht. Eine Auswahl

 17.03.2025

Berlin

Weil Gal Gadot Israelin ist: Der Nahostkonflikt erreicht »Schneewittchen«

»Schneewittchen« ist noch nicht einmal gestartet, da überschatten bereits Kontroversen die Neuverfilmung des Disney-Klassikers. Im Mittelpunkt stehen vor allem die Hauptdarstellerinnen

von Sabrina Szameitat  17.03.2025

Berlin

Deutscher Filmpreis: Zehn Nominierungen für »September 5«

Der Thriller über das Massaker von München im Jahr 1972 geht als Favorit ins Rennen um den Deutschen Filmpreis. Konkurrenz bekommt er unter anderem von einem Film, der für die Oscars nominiert war

 17.03.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. März bis zum 26. März

 17.03.2025

Rezension

Alles, nur nicht konventionell

Elisabeth Wagner rückt vier Frauen aus der Familie des Verlegers Rudolf Mosse ins Licht der Aufmerksamkeit

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.03.2025

Kulturkolumne

They tried to kill us, we survived, let’s eat!

Der Satz ist wie kein anderer mit jüdischer Essenstradition verbunden ist. In unserer Generation bekommt er eine neue Dimension

von Laura Cazés  16.03.2025

Tanz

Ballett nach Kanye West

Der Israeli Emanuel Gat inszeniert sein Stück »Freedom Sonata« im Haus der Berliner Festspiele

von Stephen Tree  16.03.2025

Düsseldorf

Fantastische Traumwelten in intensiven Farben

Marc Chagall zählt zu den wichtigsten und beliebtesten Malern des 20. Jahrhunderts. Nun widmet die Kunstsammlung NRW ihm eine große Ausstellung

von Irene Dänzer-Vanotti  16.03.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  14.03.2025 Aktualisiert