»Jüd Süss«

»Überfüllte Kinos und laute Zwischenrufe«

Foto: Bill Niven

Herr Niven, der Titel Ihres neuen Buches lautet »Jud Süß – das lange Leben eines Propagandafilms«. Was konkret meinen Sie damit?
Anfang der 50er-Jahre berichtet Thomas Harlan, Sohn des Regisseurs Veit Harlan, davon, wie er während eines Aufenthaltes in Jerusalem davon erfahren hat, dass der 1940 von seinem Vater gedrehte Film im Osten der Stadt, der damals unter jordanischer Kontrolle stand, gezeigt wurde. Aber auch in Ägypten, Syrien, im Libanon und dem Irak lief »Jud Süß« bis in die 70er-Jahre hinein.

Wie ist der Film dorthin gekommen?
Kopien von »Jud Süß« gelangten wahrscheinlich über die Bundesrepublik und die Schweiz in den Nahen Osten, vielleicht auch über die DDR. Dort wurde die Nazi-Propaganda gegen Juden dann gegen Israel in Stellung gebracht.

Welche Rezeption erfuhr er dort?
Offensichtlich eine sehr positive. Die deutsche Gesandtschaft in Bagdad berichtete von überfüllten Kinos und lauten Zwischenrufen gegen das sogenannte Weltjudentum.

Was geschah in Deutschland nach 1945 mit Veit Harlan und dem Film?
Nach 1945 wurde »Jud Süß« verboten. Die Rechte liegen seit 1966 bei der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. Der Film kann nur mit ihrer Zustimmung und in einem pädagogischen Rahmen, mit einführendem Vortrag und anschließender Diskussion, gezeigt werden. Veit Harlan selbst stand zweimal vor Gericht.

Wie sind diese Prozesse ausgegangen?
Beide Male gab es einen Freispruch. Interessant sind aber die Begründungen. Im Prozess von 1949 sah man Zweifel, dass es zwischen den antisemitischen Aussagen des Films und den Verbrechen gegen Juden einen Zusammenhang geben würde. Das Gericht erklärte jedoch, Harlan hätte Nein sagen können, also »Jud Süß« nicht drehen müssen. Im Revisionsverfahren von 1950 erkannte man dann plötzlich die gefährliche Wirkung des Films, attestierte Harlan nun aber, quasi in Notwehr gehandelt zu haben, weil er keine andere Wahl gehabt hätte.

Welche Reaktionen gab es in der Öffentlichkeit dazu?
Im Jahr 1950 initiierte der Hamburger Senats­direktor Erich Lüth einen Boykott gegen die Vorführung von Harlan-Filmen. Bei Aufführungen kam es deshalb seitens seiner Gegner als auch seiner Anhänger manchmal zu wahren Tumulten.

Was macht den Fall Harlan in diesem Kontext so besonders?
Die Debatten sind ein Musterbeispiel dafür, wie man in der Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit umgegangen ist. Einerseits hatte Harlan in der Tat mit »Jud Süß« einen Film produziert, der erwiesenermaßen verheerende Auswirkungen hatte. Beispielsweise kam es nach einer Aufführung in Budapest zu Ausschreitungen gegen Juden. Und auch Heinrich Himmler ordnete Sondervorstellungen für SS-Einheiten und Wachmannschaften in Konzentrationslagern an. Überlebende berichten davon, dass es nach dem Zeigen von »Jud Süß« auffällig viele Übergriffe gegen KZ-Insassen gab. Andererseits war Harlan nicht der Einzige, der in den Jahren vor 1945 hochproblematische Filme gedreht hat. So gut wie alle Regisseure und Schauspieler aus dieser Zeit konnten nach 1945 ihre Karriere unbeschadet fortsetzen.

Wie ging Harlan mit den Vorwürfen gegen ihn um?
Unter anderem behauptete er, der Film sei sogar philosemitisch gewesen, weil er den Antisemitismus kritisch zeigen würde. Die Person des Herzogs von Württemberg wäre viel negativer dargestellt als die des Juden Joseph Süß Oppenheimer. Als Argument führte er auch an, dass Ferdinand Marian, der Jud Süß verkörperte, Wäschekörbe voller Liebesbriefe erhalten habe, weshalb die Figur so negativ ja nicht gewesen sein könnte.

Mit dem schottischen Historiker und emeritierten Professor der Nottingham Trent University sprach Ralf Balke. »Jud Süß – das lange Leben eines Propagandafilms« ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen.

Glosse

Der Rest der Welt

Superman kommt ins Kino – und wo sind die super Männer?

von Katrin Richter  13.07.2025

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 wohl nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  13.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  13.07.2025 Aktualisiert

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025