Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Als großer Intellektueller gefeiert und als Philosophendarsteller geschmäht: Bernard-Henri Levy Foto: Rafael Herlich

Manche Filme kommen genau zur rechten Zeit, obwohl sie schon ein wenig älter sind. Der verspielte Bewegtbild-Essay »Prinzessin Europa« des französischen Regisseurs Camille Lotteau ist so ein Fall. Lotteau begleitete im Jahr 2019 den Philosophen Bernard-Henri Levy auf einer Theatertournee durch Europa und nach New York. In diesem Jahr fanden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt.

Levys Ein-Mann-Stück »Looking for Europe« handelt vom belagerten Sarajevo in den 1990er-Jahren; der stets im eleganten Anzug auftretende Levy spielt sich selbst. Das Stück wurde auch in Nicht-EU-Ländern aufgeführt - neben Kiew auch in der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, dem »Symbol einer großen Niederlage Europas«.

»BHL«, wie man den öffentlichkeitswirksamen Publizisten in Frankreich nennt, wird dort je nach Zuneigung als großer Intellektueller gefeiert oder als Philosophendarsteller geschmäht. Seine an sich selbst gestellte Aufgabe klingt höchst anspruchsvoll: die Rettung der europäischen Idee und die Entzauberung der Populisten.

Der eigene Anspruch: Rettung der europäischen Idee

Was zunächst wie eitles Gehabe erscheinen mag, nötigt bei genauerer Betrachtung Respekt ab. Denn Levy scheut sich nicht, die von ihm kritisierten Personen in Gesprächen direkt zu konfrontieren, etwa den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban oder den damaligen tschechischen Regierungschef Andrej Babis. Auch einer Diskussion mit Wladimir Putins »Hausphilosophen« Alexander Dugin in Budapest geht er nicht aus dem Weg.

Der Film folgt Levy in einigem Abstand auf Premierenpartys oder zu Gesprächen mit Bürgern und Honoratioren. Ab und zu unterhalten sich Levy und Filmemacher Lotteau auch direkt. Lotteaus Kommentare setzen dabei immer wieder Akzente: Die Behandlung von Migranten an den EU-Außengrenzen und ihren tausendfachen Tod im Mittelmeer verschränkt er beispielsweise mit Verweisen auf die griechische Antike. Naheliegenderweise konzentriert sich der Film auf die mythologische Figur der Europa, die der zum Stier verwandelte Zeus auf seinem Rücken entführte.

Doch so verständlich das Bemühen um Distanz zum omnipräsenten Bernard-Henri Levy auch erscheint, verkommen die Betrachtungen aus dem Off doch allzu oft zum selbstverliebten Geschwätz auf der Metaebene. Auch auf manchen schalen Witz hätte Lotteau besser verzichtet. Manchmal wünscht man sich gar, dass der Regisseur einen eigenen Kommentar ganz weggelassen und stattdessen einen rein beobachtenden Dokumentarfilm gedreht hätte. Denn »Prinzessin Europa« ist ein bisschen zu klein für zwei große Egos.

Betrachtungen aus dem Off verkommen zum selbstverliebten Geschwätz auf der Metaebene

Andererseits erscheinen Vergleiche zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem verstorbenen französischen Komiker Coluche durchaus originell. Der 2019 geführte Präsidentschaftswahlkampf in der Ukraine nimmt in dem Film einen wichtigen Platz ein. Drei Jahre vor dem russischen Angriff forderte der damalige Schauspieler Selenskyj den steifen Amtsinhaber Petro Poroschenko heraus. Hier beeindruckt Levys zugewandte und auch furchtlose Art: Er benannte die von Russland ausgehenden Gefahren bereits zu einer Zeit, als man in Deutschland noch in erster Linie an günstiges Gas dachte.

An anderen Stellen beeindruckt vor allem Levys politisches Gedächtnis. Viktor Orban traf er etwa schon einmal Ende der 1980er-Jahre, als dieser noch ein Liberaler gewesen sei, was Orban selbst aber von sich weist.

Ansonsten sind es die kleinen Betrachtungen und Begegnungen, die »Prinzessin Europa« zu einem trotz mancher Mängel hochinteressanten Dokumentarfilm machen. Da ist das Zusammentreffen mit einer alten Frau aus Transkarpatien, die schon in zahlreichen Ländern gelebt hat, ohne je aus ihrer Region weggezogen zu sein. Oder die enthusiastischen Schilderungen einer jungen Georgierin, die Berlin als das Mekka Europas bezeichnet - wobei es sich für Lotteau vor Ort dann ganz anders anfühlt. In Zeiten einer allgemeinen Ermüdung sollte man ohnehin nicht unterschätzen, welche Strahlkraft der Begriff Europa noch immer hat - vor allem bei jenen, die von außen zuschauen müssen.

»Prinzessin Europa«. Dokumentarfilm. Arte, Do 28.03., 0.15 bis 2.10 Uhr.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025