Medizin

Trojaner gegen Krebs

Wenn nur nicht die Nebenwirkungen wären!» Diesen Satz hört man immer wieder von Menschen, die an Krebs erkrankt sind und sich einer Chemotherapie unterziehen müssen. Denn der Einsatz der chemischen Keule als Killer gegen den Feind im eigenen Körper ist gefürchtet. Schließlich bringt die Behandlung zahlreiche unangenehme Begleiterscheinungen mit sich, von denen der Verlust der eigenen Kopfbehaarung wohl noch die harmloseste ist.

Der Grund: Die Tumorzellen bekommen eine geballte Ladung medizinischer Wirkstoffe ab, um so ihrem Wachstumsprozess Einhalt zu gebieten und diesen, wenn möglich, wieder rückgängig zu machen. Leider trifft es dabei oft auch die gesunden und ebenfalls schnell wachsenden Knochenmark-, Schleimhaut- und Haarzellen. Die bekannten Folgen sind eine Schwächung des Immunsystems sowie die starke Müdigkeit verursachende Anämie.

Leukämie
All das will ein kleines Start-up aus dem nordisraelischen Karmiel den Patienten fortan ersparen. Bis dato konzentrierte man sich in dessen Forschungen auf die Leukämie als Krankheitsbild, aber das Prinzip ließe sich nach Aussagen der Forscher auch auf den Kampf gegen andere Formen der Krebserkrankung übertragen. «Unser Ansatz lautet: die maximale Effizienz einer Chemotherapie mit einem Minimum ihrer toxischen Wirkungen», erklärt Ruth Ben Yakar, Chefin von BioSight. «Die von uns entwickelte Methode vermeidet eine Schädigung des Hirns oder der gesunden Blutzellen.»

Und das Ganze mit einem kleinen Trick, der sehr an das Trojanische Pferd erinnert. «Alles ist eine Frage der richtigen Aminosäure, auf die eine Krebsvariante im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich allergisch reagiert», erklärt die Medizinerin die Idee dahinter. «Wir verstecken diese dann in einer Struktur von Wirkstoffen, die die Krebszelle als etwas erkennt, das ihr ›gut‹ tut und sie stärkt. In Wahrheit aber verbirgt sich darin genau der Stoff, der sie zerstören soll.» Den gesunden Zellen aber soll nichts dabei passieren.

varianten BioSights Fokus liegt derzeit auf Therapieansätzen für die akute myeloische Leukämie (AML) sowie die akute lymphatische Leukämie (ALL), den beiden am häufigsten auftretenden Varianten von Blutkrebs. Im Normalfall werden beide mit einem Wirkstoff namens Cytarabin behandelt, einer hochtoxischen Substanz, die die bekannten Nebenwirkungen verursacht. «Leukämie gilt als eine Erkrankung, die vornehmlich jüngere Menschen betrifft», skizziert Ben Yakar die Problematik. «Aber das ist so nicht ganz richtig. Die Mehrzahl der Patienten ist älter als 50 Jahre und verträgt deshalb im Regelfall die Chemotherapie deutlich schlechter.»

Gerade sie brauchen eine Therapie, die der Körper besser wegstecken kann. Deshalb entwickelten die Wissenschaftler aus Karmiel den gängigen Wirkstoff Cytarabin weiter. «Blutkrebszellen sind von einer Aminosäure namens Asparagin abhängig, die sie aber selbst nicht synthetisieren können», so Yakar weiter. «Darum ›klauen‹ sie sich diesen, wo immer es geht, aus der Blutbahn.» Man ergänzte Cytarabin um eine eigens entwickelte Zutat namens Astarabin, die den Tumorzellen aber vorgaukelt, die gesuchte Aminosäure Asparagin zu sein. Dann greifen sie zu. Doch der neue Wirkstoff macht ihnen sofort den Garaus. «Aber ohne dabei toxisch für die gesunden Zellen zu sein.»

erprobung BioSights Trojanisches Pferd befindet sich in den USA bereits in der fortgeschrittenen klinischen Erprobungsphase. Allein dort erhält rein statistisch alle drei Minuten ein Mensch die Diagnose Leukämie. Auch in Deutschland erkranken laut Krebsinformationsdienst jedes Jahr 11.500 Personen an Blutkrebs. Und jährlich sterben rund 600 Israelis an der Krankheit, die im jüdischen Staat im Vergleich zur restlichen Welt relativ häufig auftritt. Kein Wunder, dass viele neue Therapieansätze und Forschungsergebnisse aus Israel stammen.

So sorgte vor wenigen Monaten ein im Journal of the American Medical Association veröffentlichter Beitrag von zwei Medizinerinnen der Universität Haifa für reichlich Diskussionsstoff nicht nur in Fachkreisen. Sie fanden heraus, dass Kinder, die als Baby gestillt wurden und nicht die Flasche erhielten, ein durchschnittlich 19 Prozent geringeres Risiko mit sich tragen, in ihrem späteren Leben an Leukämie zu erkranken. «Offensichtlich enthält die Muttermilch immunologisch aktive Substanzen und stärkt entzündungshemmende Mechanismen, die Einfluss auf die spätere Entwicklung eines Kindes haben.»

aus-funktion Andere arbeiten an einer Methode, eine Kombination von verschiedenen Wirkstoffen ausschließlich zu den Krebszellen zu transportieren, ohne dabei gesunde Zellen zu schädigen, wie beispielsweise Biochemiker an der Hochschule von Ariel, die eine Art Schalter mit Aus-Funktion für den Krebs entwickeln wollen. «Es ist eine Technologie, die wie eine Art Plattform funktioniert, auf der mehrere Substanzen angedockt sind», so der Forscher Gary Gellerman. «Dafür verwenden wir Peptide, die relativ flexibel einsetzbar sind und sich für wenig Geld herstellen lassen.»

In einer Versuchsreihe an Mäusen konnten er und seine Kollegen einen Cocktail von fünf Anti-Leukämie-Substanzen, die nur in einer ganz spezifischen chemischen Umgebung ihre Wirkung entfalten sollen, punktgenau zu den Tumorzellen zu transportieren. Zugleich verspricht dieser Ansatz die Möglichkeit, die Wirkstoffkombinationen stärker zu individualisieren und so auf den Patienten maßgeschneiderte Medikamente bereitzustellen. «So kann man sogar auf Medikamente zurückgreifen, die im Normalfall vielleicht viel zu toxisch wären und den Patienten eher schädigen würden.» Und die Klagen über die Nebenwirkungen könnten eines Tages endgültig der Vergangenheit angehören.

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