Fernsehen

Tränensäcke und Bling-Bling

Der hünenhafte Münchner TV-Polizist - gespielt von Horst Tappert - hatte optisch mehr Ähnlichkeit mit einem Zuhälter als mit einem Beamten. Foto: picture-alliance /

Fernsehen

Tränensäcke und Bling-Bling

Vor 26 Jahren endete der legendäre TV-Krimi »Derrick«

von Christof Bock  13.10.2024 22:02 Uhr

Es gibt Feuilletonisten, die haben Stephan Derrick sogar mit einem Ritter in glänzender Rüstung verglichen. Immer eine Bling-Bling-Uhr am Handgelenk, die Pilotenbrille und die Maßanzüge, dazu gegelte Haare: Dieser hünenhafte Münchner TV-Polizist - gespielt von Horst Tappert - hatte optisch mehr Ähnlichkeit mit einem Zuhälter als mit einem Beamten.

Dennoch waren die betulichen Fernsehkrimis um Oberinspektor Derrick und Inspektor Harry Klein (Fritz Wepper) ein Riesenerfolg im In- und Ausland. Vor fast genau 26 Jahren (16. Oktober 1998) strahlte das ZDF den letzten Fall »Das Abschiedsgeschenk« aus.

Während der »Derrick«-Ära veränderte sich das Land sehr. Um nur einen Aspekt zu nennen: Als 1974 das Debüt »Waldweg« ins TV kam, glotzte ein Großteil der Westdeutschen noch in einen Schwarz-Weiß-Fernseher. Als »Das Abschiedsgeschenk« lief, gab es im vereinten Deutschland mehr als sechs Millionen Internetnutzer.

Was sich aber nie geändert hat, ist die ganz eigene »Derrick«-Welt: reiche Leute, die in ihren Grünwalder Villen ermordet werden. (»Hatte Ihr Schwiegervater irgendwelche Feinde?«) Die weitläufigen Vorräume im Barock-Stil, in denen die Ermittler vom Dienstmädchen empfangen werden. Und vor der Kamera immer wieder die Erste Garde von Theaterschauspielern, auch Rainer-Werner-Fassbinder-Veteranen, nicht selten etwas unterfordert. Legenden wie Martin Held, Klaus Maria Brandauer, Margit Carstensen.

Was wenige wissen: Die Serie war anfangs in weiten Teilen eine Art Recyclingprodukt. Wepper war dem Publikum als Harry Klein gut bekannt aus der ZDF-Reihe »Der Kommissar« mit Erik Ode, in der auch Horst Tappert zwei Mal in kleinen Rollen aufgetreten war. Sogar der Name Derrick war in völlig anderem Zusammenhang schon in »Der Kommissar« gefallen. Dort hatte der Betreiber eines Freudenhauses so geheißen.

Obwohl zusammengebastelt, tat »Derrick« im Zeitgeist der 1970er einen Schritt nach vorne. Die Serie war in Farbe gedreht. Neu waren Discos als glitzernde Schauplätze. Das ZDF zeigte für die Zeit ungewöhnlich viel Nacktheit. Und in »Derrick«-Krimis waren neben der einprägsamen Titelmelodie oft aktuelle Chart-Hits zu hören. Futuristische Drehorte in München wie Pharao-Haus oder Fuchsbau waren Hingucker. Das große Markenzeichen der Serie waren aber die Tränensäcke von Horst Tappert.

Ein Markenzeichen, an das sich Millionen zu erinnern glauben, hat es hingegen nie gegeben. Der Satz »Harry, hol schon mal den Wagen« ist in diesen Worten nie gefallen, auch wenn er zur herablassenden Art des Titelhelden passt. Das haben sich die Komiker Harald Schmidt und Herbert Feuerstein ausgedacht, als sie mal die hölzernen Dialoge der Serie aufspießten. Eine reale »Derrick«-Szene mit der Sentenz »Harry! Den Wagen! Schnell!« kommt dem Kult-Zitat wohl noch am nächsten.

Im Ausland waren die 281 Folgen ein Hit. Die Serie lief in über 100 Ländern. In den Niederlanden mahnte Tappert als Werbeträger der Polizei, auch Kleinigkeiten zu melden. In Frankreich lief »Derrick« tagsüber und war sehr beliebt, um dazu einen Mittagsschlaf zu halten.

In der ZDF-Mediathek suchen Zuschauer »Derrick« heutzutage vergebens. Auch werden im ZDF keine alten Fälle wiederholt. Ursprünglich hatte diese Lücke nicht zuletzt mit der Vergangenheit des 2008 gestorbenen Hauptdarstellers Tappert zu tun.

Lesen Sie auch

Er gehörte während des Zweiten Weltkrieges als Waffen-SS-Mann zum 14. SS-Panzergrenadierregiment 1 »Totenkopf«. Am Rande sei bemerkt, dass »Derrick«-Erfinder Herbert Reinecker als Kriegsberichterstatter ebenso bei der Waffen-SS gewesen war.

Nachdem Tapperts Vergangenheit - Jahre nach seinem Tod - bekannt geworden war, reagierte der Sender: »Das ZDF ist von der Nachricht, dass Horst Tappert Mitglied der Waffen-SS war, überrascht und befremdet.« Und weiter: Wiederholungen von »Derrick« seien nicht mehr geplant.

Darauf angesprochen, nennt das ZDF im Jahr 2023 ein anderes Motiv. »»Derrick« ist eine Kultserie. Gleichzeitig haben wir sehr viele ehemals erfolgreiche und beliebte ZDF-Programme, die wir - ebenso wie »Derrick« - nicht wiederholen«, sagte eine Sprecherin zur dpa.

»Das hat mit veränderten Sehgewohnheiten zu tun und natürlich auch damit, dass die Krimireihen und -serien immer auch Spiegel ihrer Zeit sind und wir eine Vielzahl von neuen Krimiformaten haben, die gegenwärtige gesellschaftliche Themen erzählen.«

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  12.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025