Es gibt Feuilletonisten, die haben Stephan Derrick sogar mit einem Ritter in glänzender Rüstung verglichen. Immer eine Bling-Bling-Uhr am Handgelenk, die Pilotenbrille und die Maßanzüge, dazu gegelte Haare: Dieser hünenhafte Münchner TV-Polizist - gespielt von Horst Tappert - hatte optisch mehr Ähnlichkeit mit einem Zuhälter als mit einem Beamten.
Dennoch waren die betulichen Fernsehkrimis um Oberinspektor Derrick und Inspektor Harry Klein (Fritz Wepper) ein Riesenerfolg im In- und Ausland. Vor fast genau 26 Jahren (16. Oktober 1998) strahlte das ZDF den letzten Fall »Das Abschiedsgeschenk« aus.
Während der »Derrick«-Ära veränderte sich das Land sehr. Um nur einen Aspekt zu nennen: Als 1974 das Debüt »Waldweg« ins TV kam, glotzte ein Großteil der Westdeutschen noch in einen Schwarz-Weiß-Fernseher. Als »Das Abschiedsgeschenk« lief, gab es im vereinten Deutschland mehr als sechs Millionen Internetnutzer.
Was sich aber nie geändert hat, ist die ganz eigene »Derrick«-Welt: reiche Leute, die in ihren Grünwalder Villen ermordet werden. (»Hatte Ihr Schwiegervater irgendwelche Feinde?«) Die weitläufigen Vorräume im Barock-Stil, in denen die Ermittler vom Dienstmädchen empfangen werden. Und vor der Kamera immer wieder die Erste Garde von Theaterschauspielern, auch Rainer-Werner-Fassbinder-Veteranen, nicht selten etwas unterfordert. Legenden wie Martin Held, Klaus Maria Brandauer, Margit Carstensen.
Was wenige wissen: Die Serie war anfangs in weiten Teilen eine Art Recyclingprodukt. Wepper war dem Publikum als Harry Klein gut bekannt aus der ZDF-Reihe »Der Kommissar« mit Erik Ode, in der auch Horst Tappert zwei Mal in kleinen Rollen aufgetreten war. Sogar der Name Derrick war in völlig anderem Zusammenhang schon in »Der Kommissar« gefallen. Dort hatte der Betreiber eines Freudenhauses so geheißen.
Obwohl zusammengebastelt, tat »Derrick« im Zeitgeist der 1970er einen Schritt nach vorne. Die Serie war in Farbe gedreht. Neu waren Discos als glitzernde Schauplätze. Das ZDF zeigte für die Zeit ungewöhnlich viel Nacktheit. Und in »Derrick«-Krimis waren neben der einprägsamen Titelmelodie oft aktuelle Chart-Hits zu hören. Futuristische Drehorte in München wie Pharao-Haus oder Fuchsbau waren Hingucker. Das große Markenzeichen der Serie waren aber die Tränensäcke von Horst Tappert.
Ein Markenzeichen, an das sich Millionen zu erinnern glauben, hat es hingegen nie gegeben. Der Satz »Harry, hol schon mal den Wagen« ist in diesen Worten nie gefallen, auch wenn er zur herablassenden Art des Titelhelden passt. Das haben sich die Komiker Harald Schmidt und Herbert Feuerstein ausgedacht, als sie mal die hölzernen Dialoge der Serie aufspießten. Eine reale »Derrick«-Szene mit der Sentenz »Harry! Den Wagen! Schnell!« kommt dem Kult-Zitat wohl noch am nächsten.
Im Ausland waren die 281 Folgen ein Hit. Die Serie lief in über 100 Ländern. In den Niederlanden mahnte Tappert als Werbeträger der Polizei, auch Kleinigkeiten zu melden. In Frankreich lief »Derrick« tagsüber und war sehr beliebt, um dazu einen Mittagsschlaf zu halten.
In der ZDF-Mediathek suchen Zuschauer »Derrick« heutzutage vergebens. Auch werden im ZDF keine alten Fälle wiederholt. Ursprünglich hatte diese Lücke nicht zuletzt mit der Vergangenheit des 2008 gestorbenen Hauptdarstellers Tappert zu tun.
Er gehörte während des Zweiten Weltkrieges als Waffen-SS-Mann zum 14. SS-Panzergrenadierregiment 1 »Totenkopf«. Am Rande sei bemerkt, dass »Derrick«-Erfinder Herbert Reinecker als Kriegsberichterstatter ebenso bei der Waffen-SS gewesen war.
Nachdem Tapperts Vergangenheit - Jahre nach seinem Tod - bekannt geworden war, reagierte der Sender: »Das ZDF ist von der Nachricht, dass Horst Tappert Mitglied der Waffen-SS war, überrascht und befremdet.« Und weiter: Wiederholungen von »Derrick« seien nicht mehr geplant.
Darauf angesprochen, nennt das ZDF im Jahr 2023 ein anderes Motiv. »»Derrick« ist eine Kultserie. Gleichzeitig haben wir sehr viele ehemals erfolgreiche und beliebte ZDF-Programme, die wir - ebenso wie »Derrick« - nicht wiederholen«, sagte eine Sprecherin zur dpa.
»Das hat mit veränderten Sehgewohnheiten zu tun und natürlich auch damit, dass die Krimireihen und -serien immer auch Spiegel ihrer Zeit sind und wir eine Vielzahl von neuen Krimiformaten haben, die gegenwärtige gesellschaftliche Themen erzählen.«