Sprachgeschichte(n)

»Total Manoli«

Ich kenne den Ausdruck von früher. Hatte eines von uns Kindern sich verrückt benommen, sagte unsere Tante Else mit hochgezogenen Brauen: »Du bist wohl manoli!« Das dreivokalige Wort war weniger barsch als »meschugge« und faszinierte mich – doch woher stammte es? Die Tante hatte es aus Berlin mitgebracht, den Weg wies mir später ein Tucholsky-Gedicht von 1920 mit den Zeilen: »Die meisten Menschen haben heut ein kleines Rad. / Total Manoli! Total Manoli! / Such dir mal wen in ganz Berlin, der das nicht hat. / Tanz des Geschlechts um Manoli rechts rum, / die ganze Erde tanzt von früh bis abends spät / stets um das Dings rum, Manoli links rum! / Ihr seid doch alle, alle, alle etwas durchgedreht.« Der Komponist Rudolf Nelson entwickelte aus diesem Gedicht seine legendäre Revue Total manoli!, die 1920 mit dem Kabarettisten Fritz Grünbaum und der Tänzerin Lucie Berber 1920 am Kurfürstendamm lief. Zu literarischen Ehren kam der Begriff auch in Joachim Ringelnatz’ Berlinroman … liner Roma … aus dem Jahr 1924, wo es über einen fidelen Großstadtkauz heißt: »Der scheint etwas manoli zu sein.«

leuchtreklame In Berlin hat das südländisch anmutende Wort auch seinen Ursprung. Seit 1898 machte auf einem Gebäude am Alexanderplatz das sogenannte Manoli-Rad mit einem Radius von zweieinhalb Metern Werbung für eines der größten Tabakhäuser in Deutschland. Es war nach der Ehefrau seines Gründers und Besitzers Jakob Mandelbaum benannt. Die hieß Ilona M. – rückwärts gelesen Manoli. (Das Jüdische Museum Berlin hat Mandelbaum und anderen deutschjüdischen Tabakfabrikanten 2008 eine Ausstellung gewidmet, natürlich unter dem Titel »Total Manoli?«.)

Beim für die damalige Zeit spektakulären Leuchtlogo der Reklame erzeugten phasengesteuerte Glühbirnen den Anschein einer Rotation, ehe in einer dunklen Kugel die Parole »Raucht Manoli!« den Sinn des Ganzen erhellte und noch von Ferne für den »durchgedrehten« Zuschauer lesbar war. Schnell wurde es üblich, zur Phrase »Du bist ja manoli« mit der Hand eine Umlaufgebärde vor der Stirn auszuführen, wollte man ausdrücken, jemand sei etwas wirr im Kopf. Völlig Verrückte nannte man – Tucholsky folgend – »manoli linksherum«, denn die fingierte Kreisbewegung der Lichtreklame lief entgegen dem Uhrzeigersinn.

überdauert Anders als viele Modewörter der Weimarer Republik hat »total manoli« die Zeit überdauert und wird noch heute umgangssprachlich und in Dialekten gebraucht. Nathalie Sarrautes »Eh bien quoi, c’est un dingue« aus L’Usage de la parole hat Elmar Tophoven in seiner Übersetzung Der Wortgebrauch 1988 kongenial verdeutscht: »Was denn nur, er ist manoli!« In der populären NDR-Heimatserie Neues aus Büttenwarder brummelt Jan Fedder als Bauer Brakelmann gern seinen Freund-Feind Adsche Tönnsen an: »Bist du völlig manoli?« Und als die Akademie der Darstellenden Künste 2010 Holger Siemanns Alles ist Erpel zum Hörspiel des Monats kürte, las ich über die Hauptperson, sie fürchte, »manoli zu werden«.
Einzig die gängigen Lexika verleugnen das schöne Wort. Vom Duden etwa wurde es in das das Große Fremdwörterbuch verbannt. Total manoli!

Christoph Gutknecht ist Autor des Buchs »Lauter böhmische Dörfer: Wie die Wörter zu ihrer Bedeutung kamen« (C. H. Beck 2009).

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

von Christiane Oelrich  12.12.2025

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Singend durch Paris oder Warum unser Chanukka-Song der beste ist

von Nicole Dreyfus  12.12.2025