Gastprofessur

Teilnehmende Beobachterin

Von Moskau über Tel Aviv nach Potsdam: Larissa Remennick Foto: Uwe Steinert

Wer das Gebäude des Moses Mendelssohn Zentrums am Neuen Markt in Potsdam besucht, fühlt sich unmittelbar in die Zeit Friedrichs des Großen versetzt. Über einen von Gebäuden aus dem 18. Jahrhundert gesäumten Vorplatz gelangt man in den Innenhof des Instituts. In dieser ruhigen Idylle forscht seit Mitte August Larissa Remennick. Sie erhielt vom MMZ eine Gastprofessur für Israelstudien und widmet sich nun ein halbes Jahr lang dem Integrationsprozess russisch-jüdischer und israelischer Einwanderer in Berlin.

Larissa Remennick befasst sich, sagt sie, vornehmlich mit der »Generation 1,5«. Damit ist jene Generation von Einwanderern gemeint, die als Kinder oder Jugendliche nach Deutschland kamen. In ihrem spartanisch eingerichteten Büro erzählt sie, dass die Generation 1,5 in puncto Integration wesentlich besser abschneidet als ihre Eltern.

»Während die Elterngeneration mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert war, angefangen von enormen Schwierigkeiten mit der Sprache über bürokratische Hürdenläufe bis hin zu nicht anerkannten Ausbildungen und akademischen Abschlüssen, hatten es die Kinder einfacher«, so Remennick. »Sie wurden noch in das deutsche Bildungssystem eingeschleust, hatten daher Kontakt mit gleichaltrigen Deutschen, lernten die Sprache schneller und erlangten in Deutschland anerkannte Abschlüsse.«

Integration Larissa Remennick kennt all diese Probleme aus erster Hand. Geboren und aufgewachsen in Moskau, promovierte sie 1988 am Institut für Soziologie der Moskauer Akademie der Wissenschaft in medizinischer Soziologie zum Thema »Social Factors of Cancer Incidents of Women in the Soviet Union«.

Drei Jahre später, kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als die politische Instabilität und der grassierende Antisemitismus unerträglich wurden, entschloss sie sich, auszuwandern, und ging nach Israel. Dort erhielt sie 1994 einen Lehrstuhl an der Fakultät für Soziologie und Anthropologie der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv, deren Direktorin sie sieben Jahre lang war.

Ursprünglich befasste sich Remennick mit medizinischer Soziologie und konzentrierte sich dabei auf assistierende Reproduktionstechnologie, aber ihre eigenen Erfahrungen als Einwanderin weckten ihr Interesse für Migration und Integration als Forschungsfeld. Besonders die deutsche Sprache bereitet ihr noch Probleme, sich in die akademische Welt zu integrieren, da viele Veranstaltungen, die ihren Forschungsbereich betreffen, ausschließlich auf Deutsch stattfinden.

In den vergangenen 15 Jahren betrieb Larissa Remennick intensive Forschung über die Migration und Integration russischer Juden in Israel, Kanada, USA und Deutschland. Dabei entdeckte sie, dass »die strukturellen Unterschiede ein wesentlicher Faktor für eine gelungene Integration« sind. »Die Integration gelang in den USA am reibungslosesten, weil die Organisation des Arbeits- und Gemeinwesens dort vergleichsweise unbürokratisch ist«, sagt sie.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt – und damit fast gleichbedeutend der Zugang zur Gesellschaft – falle dort leichter. Deutschland und Kanada schnitten hingegen schlechter ab. »Das Amtslabyrinth und die komplexe Bürokratie setzen gute Sprach- und Gesetzeskenntnisse voraus. Davon fühlen sich viele Migranten überfordert.«

Undercover In Israel sei die Lage wiederum anders, so die Expertin. »Der Staatsapparat ist dort nicht so bürokratisch wie in Deutschland oder Kanada, aber der überschaubare Arbeitsmarkt macht es auch gut ausgebildeten russischen Juden schwer, einen Job zu finden und sich zu integrieren.«

Die sechsmonatige Gastprofessur in Potsdam ist nicht ihr erster Aufenthalt in Deutschland. Zu Forschungszwecken reiste Larissa Remennick bereits nach München, Frankfurt und Köln. Es ist allerdings ihr erster längerer Aufenthalt in Deutschland. Ihr eigener Status als Migrantin kommt ihrer Forschung dabei zugute. In Sprachkursen beispielsweise ist sie selbst Teil der Migrationsgemeinde und bekommt einen unmittelbaren Einblick in den Gegenstand ihrer Forschung, andererseits ist sie als Soziologin auch eine Außenstehende, die sich selbst und andere Immigranten quasi »undercover« beobachten kann.

Remennicks Gastprofessur ist ein Teil des Vorhabens, das Moses Mendelsohn Zentrum zu modernisieren. Konzentrierte sich das Institut bislang vornehmlich auf die Erforschung jüdischer Geschichte, möchte man sich nun auch moderneren Aspekten des jüdischen Lebens zuwenden. Larissa Remennick ist dafür die ideale Besetzung. In ihrer fast 30-jährigen Karriere veröffentlichte sie sechs Bücher und über 100 Artikel zu Themen der Migration, Gender- und Gesundheitsforschung.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025