Handel

Talmud für 9,3 Millionen

Lag 400 Jahre lang unentdeckt in Westminster Abbey: der Bomberg-Talmud Foto: Sotheby’s

Hinter schweren Mauern eingeschlossen zu sein, ist für den Menschen ein Grauen, für die Kunst ist es mitunter ein Segen. Wer weiß, was aus dem Bomberg-Talmud geworden wäre, hätte er nicht 400 Jahre in Westminster Abbey gelegen. Und wer weiß, ob sich die Kunstwelt dann über einen neuen Rekordpreis freuen dürfte. Einen Weltrekord bei Judaica nämlich.

Für 9,3 Millionen Dollar ging der Bomberg-Talmud – im 16. Jahrhundert von Daniel Bomberg in Venedig gefertigt und heute noch in sehr gutem Zustand – im Dezember bei der Judaica-Auktion des traditionsreichen New Yorker Nobel-Auktionshauses Sotheby’s über den Tisch. Nie zuvor haben Sammler mehr für solch ein Ritualobjekt ausgegeben als für diesen Babylonischen Talmud, eine Art Gutenberg-Bibel des Judentums. Zum Ersten, zum Zweiten. Rekordzuschlag.

Nischenprodukt Der Kunstmarkt für Judaica ist eine Nische im Auktionshandel. Weltweit gibt es nur rund 700 private jüdische Sammler, die bereit sind, größere Geldbeträge auszugeben, schätzen Experten. Dazu kommen Museen und in der absoluten Minderheit nichtjüdische Interessenten. Doch so eingeschränkt dieser Markt ist, er kann so manche Tücke haben: Es tut sich etwas bei den handgeschriebenen Schriften, den Chanukkaleuchtern aus Silber und den Toraschilden. In Übersee, aber auch in Europa.

»Es sind schöne Steigerungsstufen zu erzielen«, sagt Georg Ludwigstorff, Silberexperte im Wiener Auktionshaus Dorotheum. Dabei gilt die goldene Regel, dass große Objekte gehen, kleine aber nicht. Der Markt für »kleinere« Objekte, wie sie Ludwigstorff nennt – also beispielsweise Torazeiger –, ist zusammengebrochen. Es gebe einfach »zu viele Fälschungen«.

Der Bomberg-Talmud als absolutes Ausnahmeobjekt setzt zwar keine neuen Preismaßstäbe bei Judaica. Er ist gleichwohl mehr als ein Indiz für das neu erwachte Interesse des Kunstmarkts an jüdischen Ritualgegenständen. Davon können auch die Spezialisten von Sotheby’s ein Lied singen. So war die Auktion vom vergangenen Dezember gar die erfolgreichste Judaica-Auktion überhaupt. Für mehr als 22 Millionen Dollar wechselten bedeutende Judaica ihre Besitzer. Allein die sogenannte Valmadonna-Sammlung, das Lebenswerk des britischen Diamantenhändlers Jack V. Lunze, der auch der Bomberg-Talmud angehörte, erlöste knapp 15 Millionen Dollar.

»Wenn gute Qualität auf den Markt kommt, findet sich auch ein Käufer«, sagt Jennifer Roth, die bei Sotheby’s für israelische Kunst und Judaica zuständig ist, bei der Veranstaltung in Wien. Für das Auktionshaus stellte die Valmadonna-Sammlung – benannt nach einer kleinen Stadt nahe Alessandria im Nordwesten Italiens, dem langjährigen Wohnsitz des Diamantenhändlers – mit ihren 13.000 Teilen jedenfalls einen Glücksfall dar: »So etwas hat man nicht jeden Tag«, sagt Roth.

Immer am Ende des Jahres, an Chanukka angelehnt, organisiert Sotheby’s eine Judaica-Versteigerung, bei der vor allem in den vergangenen Jahren bereits Spitzenergebnisse erzielt werden konnten. 2013 etwa ließ der Investmentbanker Michael Steinhardt seine Sammlung über das Auktionshaus verkaufen, darunter eine Mischne-Tora-Ausgabe von Maimonides. Ein Jahr später ging ein jüdisches Gebetsbuch aus Wien von 1716 weit über dem Schätzpreis von 875.000 Dollar an den Mann. Solch handgeschriebene, reich verzierte Büchlein waren in der jüdischen Gemeinde damals als Geschenke zu besonderen Anlässen beliebt. Und notwendig: Da den Wiener Juden zu dieser Zeit der Bau einer Synagoge nicht erlaubt war, feierten sie ihre Gottesdienste zu Hause.

Wie alle Kunstwerke bilden auch Judaica ihre Entstehungszeit und die Geschichte ab: Ausgerechnet der Antisemitismus und nicht zuletzt die Nationalsozialisten haben dazu beigetragen, dass Hebraica, jüdisch-religiöse Kunstwerke und Schriften, heute lukrative Sammlerstücke sind.

Zahlreiche Werke, die sämtliche Pogrome der Jahrhunderte zuvor überstanden hatten, gingen schlussendlich in der Barbarei der Nationalsozialisten unter. Ritualgegenstände wurden zerstört, oder ihre Besitzer ließen sie einschmelzen, um die Spuren des jüdischen Lebens aus ihrem Alltag zu tilgen, oder weil sie das Silber und Gold gezwungenermaßen zu Geld machen mussten.

Assimilierung Zuvor hatten schon die Emigration der Juden aus Osteuropa in Richtung Westen und nach Amerika und die damit verbundenen Assimilierungstendenzen die Bedeutung der Judaica innerhalb der Gemeinden zurückgedrängt. »Jüdische Bücher und Manuskripte sind sehr selten. Sie wurden verbrannt, zerstört, und nur wenige haben aus der frühen Zeit überlebt«, sagte David Redden, Vizepräsident von Sotheby’s, der Nachrichtenagentur Associated Press vor der jüngsten Judaica-Auktion. Es seien schlichtweg Überlebende, die nun die Stücke verkauften. Das geringe Angebot an rabbinischen Manuskripten oder Drucken aus der Vorkriegszeit, an jüdischen Ritualgegenständen steigert den Preis: Rarität ist seit jeher eine fruchtbare Basis für ein gutes Geschäft.

Doch darf man Ritualgegenstände überhaupt lukrativ handeln? Im Jüdischen Museum Wien sieht man die Sache kritisch. Zum einen stammen viele Judaica aus zerstörten Synagogen, es stellt sich also durchaus die Frage nach der Provenienz. Zum anderen treibt das Interesse privater Sammler die Preise nach oben, und »die öffentlichen Institutionen kommen einfach nicht mehr mit«, sagt Museumsdirektorin Danielle Spera. Anstatt für die Öffentlichkeit zugänglich zu sein, verschwänden die Objekte zweckentfremdet zu Prestigezwecken in privaten Räumen, klagt sie.

Damit hat Jonathan Greenstein kein großes Problem, er lebt schließlich davon. Der heute 49-jährige Amerikaner war Jugendlicher, als er das erste Mal mit Judaica in Berührung kam. Er hatte sich in der jüdischen Schule in Brooklyn daneben benommen und war rausgeschmissen worden. So musste er bei einem Antiquitätenhändler in der Nachbarschaft anheuern. Der hatte alle Hände voll zu tun: Die 70er-Jahre waren für den Tandler keine schlechte Zeit. Seit Spekulanten die Preise nach oben trieben, schleppten Kunden täglich ihre Silberschmuckstücke an. »Selbst die jüdischen Mammes kamen, um ihre Kidduschbecher einzulösen«, erinnert sich Greenstein.

Der Antiquitätenhändler – selbst zwar kein Jude, aber ein gläubiger Mann – brachte es irgendwann nicht mehr übers Herz, all die religiösen Objekte einzuschmelzen und begann, Greenstein mit Judaica zu bezahlen. Heute führt Greenstein das einzige auf rituelle jüdische Gegenstände spezialisierte Auktionshaus in den USA und gilt als einer der besten Kenner weltweit. Wer sich für Judaica interessiert, kommt an Greenstein nicht vorbei.

Doch wie hat sich der Markt für Judaica verändert? Und wer spielt überhaupt mit? »Wir sehen vor allem in den USA ein wachsendes Interesse junger Sammler an dieser Kunst«, erklärt Greenstein. Oft haben diese jüdische Wurzeln, üben die Religion aber nicht mehr aus. »Sie wollen die Gegenstände nicht für religiöse Zwecke, sondern aus Gründen der Spiritualität in der Wohnung haben«, sagt Greenstein. Dann steht die Menora eben als Blickfang im aufgeräumten Backsteinloft.

Im etwas höheren Preissegment mache sich indes die neu erwachte Sammelleidenschaft der Museen bemerkbar. Das Boston Museum of Fine Arts beispielsweise baut seit 2013 eine Judaica-Sammlung auf, ähnlich das North Carolina Museum of Art in Raleigh. Beide Museen bildeten ihren Grundstein an Judaica mit privaten Sammlungen. In letzterem Falle griffen die Kuratoren bei Sotheby’s in New York zu, als das Auktionshaus im April 2013 die Privatsammlung von Michael Steinhardt und seiner Frau Judy veräußerte. Die Steinhardt-Sammlung galt als eine der umfassendsten und fundiertesten Judaica-Sammlungen der Welt, was sich im Erlös von 8,5 Millionen Dollar niederschlug.

Gehobenes Preissegment In Steinhardt-Preisklassen bewegt sich indes nur eine Handvoll nicht institutioneller Sammler. Greenstein schätzt, dass 15 Privatpersonen willens wären, mehr als 100.000 Dollar für eine Judaica-Rarität auszugeben. Die meisten kommen aus den USA, Israel und den Ländern der ehemaligen UdSSR. Das kostbarste Stück, das Greenstein selbst veräußerte, stammte aus Deutschland: Für 100.000 Dollar versteigerte er zwei Rimonim, Aufsätze einer Torarolle, die 1790 in Deutschland hergestellt wurden.

Die Steinhardt-Sammlung beweist ebenso, dass die Frage der Provenienz bis heute vor dem Verkauf abgeklärt werden muss. Vor der Auktion war Gabriele Kohlbauer-Fritz vom Jüdischen Museum Wien im Verkaufskatalog auf ein Objekt mit einer Inventarnummer des Leopoldstädter Tempels gestoßen, den die Nationalsozialisten 1938 zerstört hatten. Der rechtmäßige Besitzer konnte also nur die Israelitische Kultusgemeinde Wien sein. Und dies sei kein Einzelfall, erklärt Kohlbauer-Fritz. »Wir haben auch schon Objekte aus dem ersten Jüdischen Museum in Wien wiedergefunden«, also aus jenem Museum, das 1895 als erstes Jüdisches Museum weltweit eröffnet wurde.

Zu diesem Zeitpunkt lag der Bomberg-Talmud noch geschützt in der Krönungskirche der britischen Monarchen. Ein Bibelwissenschaftler hatte ihn Westminster Abbey im 16. Jahrhundert vermacht. Erst 1980 wurde er an den Sammler Jack V. Lunze verkauft. Oder besser gesagt, getauscht: Westminster Abbey gab den Talmud heraus und bekam dafür eine zeitgenössische Urkunde. Von diesem Schriftstück hat man nie wieder etwas gehört.

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