Leonard Cohen

Suzanne in der Wüste

Leonard Cohen Foto: picture alliance / empics

»I’m just a famous nobody« – »ich bin nur ein berühmter Niemand«, hat Leonard Cohen einmal gesagt. Dieser Satz, einer von vielen überlieferten Bonmots des kanadischen Multitalents, gilt heute nicht mehr. Galt eigentlich nie für den Sänger, der vor sechs Jahren im Alter von 82 Jahren in Los Angeles starb, der nicht als Musiker begann, sondern als Poet und Autor, einige Romane veröffentlichte, bevor er – im Alter von 32 Jahren! – erstmals auf einer Bühne stand.

Wobei die Chancen auf Erfolg im Musikgeschäft nicht gerade groß erschienen. Sein Griffrepertoire auf der Gitarre war höchst überschaubar, und selbst an Bob Dylan gewöhnte Hörer sollen angesichts Cohens Stimme die Stirn gerunzelt haben. Zudem warf er damals Beruhigungspillen ein.

HYDRA Und war psychisch stets im Fort- und Weiterzug-Modus, von Toronto nach London, von London auf die kleine griechische Insel Hydra 65 Kilometer südwestlich von Athen. Dort lebte er 1973 mit Partnerin und kleinem Sohn. Und war, wieder einmal, in der Krise. Mit 39 dachte er, seine kreative Karriere sei endgültig vorbei, seine Imagination erloschen. Und dann kam ein Krieg.

Der Journalist und Buchautor Matti Friedman präsentiert Cohen im Krieg. Und zwar im Jom-Kippur-Krieg 1973. In der Cohen-Literatur schien dies bis dato höchstens als kleine, nachlässig traktierte Fußnote auf. Es war allerdings ein innerer Wendepunkt, den Friedman plastisch, hochinformiert und ausnehmend lebendig schildert.

Beim sowohl Regierung wie gesamtes Land auf dem falschen Fuß erwischenden brutalen Überfall auf Israel flog er sogleich nach Tel Aviv und stellte sich der israelischen Truppenbetreuung zur Verfügung. In den etwas mehr als 14 Tagen des Krieges spielte Cohen zusammen mit einigen israelischen Begleitmusikern an der Front, kurz nach Zusammenstößen mit den arabischen Invasoren, kurz vor der nächsten Schlacht.

AIRBASE Viele kannten ihn, der kein Hebräisch sprach, nicht. Einige Jüngere konnten nicht glauben, den Kanadier, der kurze Zeit zuvor beim »Isle of Wight Festival« vor fast einer halben Million Menschen aufgetreten war, vor sich zu sehen, in der Negev-Wüste, auf der Hatzor Airbase, im Nirgendwo, zerstörte Panzer und verscharrte Leichen im Blick, frisch gefallene Freunde im Herzen.

Matti Friedman stieß im Nachlass in Kanada und Los Angeles auf ein Notizbuch, in das Cohen Ideen und Ideensplitter eintrug – hochspannend nachzuverfolgen, wie sich daraus dann einer seiner bekanntesten Songs entwickelte, »Lover Lover Lover« –, wie auf kurz danach getippte Aufzeichnungen, die wohl als literarische Vorlage dienen sollten, jedoch nie weiter ausgearbeitet wurden.

Zudem wurden ihm von der Cohen-Biografin Sylvie Simmons Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt, die sie nicht in ihrer lesenswerten, sehr umfangreichen Lebensbeschreibung verwendete. Und er machte Musiker und nicht wenige Soldatinnen und Soldaten ausfindig, die Cohen damals erlebten, seinerzeit um die 20, heute Mütter, Väter, Großmütter, Großväter, mit eigenen Lebenswegen, die nach dem Jom-Kippur-Krieg ganz andere, für sie selbst überraschende Wendungen nahmen.

Für Leonard Cohen selbst war diese Zeit, in der er tagelang im Zelt schlief, mitten in einem kleinen, improvisierten Kreis für Soldatinnen und Soldaten sang, die zufällig in der Nähe waren, ganz und gar nicht unwichtig.

SPIRITUALITÄT Zurückgekehrt nach Hydra, intensivierte sich sein ohnehin in seinen Songtexten unüberhörbares Interesse an jüdischer Mystik und Spiritualität.Dass sich dieses ungemein erhellende Buch aktuell einfügt in ein neues, stärkeres Interesse für Cohen – durch jüdische Museen in Kanada und den USA wanderte vor Kurzem die schöne, informative multimediale Ausstellung Leonard Cohen: A Crack in Everything –, ist eine schöne Koinzidenz!

Wie gut der in Toronto geborene, in Jerusalem lebende Matti Friedman schreibt und zudem ein eminenter Rechercheur ist, dessen wurde man schon bei seinem Vorgängerbuch Spies of No Country über die Anfangszeit israelischer Geheimdienste gewahr. In Who By Fire übertrifft er sich noch.

Matti Friedman: »Who By Fire. Leonard Cohen in the Sinai«. Spiegel & Grau, New York 2022, 208 S., 22,99 €

Kino

Düstere Dinosaurier, frisches Starfutter

Neuer »Jurassic World«-Film mit Scarlett Johansson läuft in Deutschland an

von Ronny Thorau  01.07.2025

Berlin

Ausstellung »Die Nazis waren ja nicht einfach weg« startet

Die Aufarbeitung der NS-Zeit hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Wendungen genommen. Eine neue Ausstellung in Berlin schaut mit dem Blick junger Menschen darauf zurück

von Lukas Philippi  01.07.2025

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

von Ulf Poschardt  29.06.2025