Will Eisner

Storys aus der Bronx

»Seine Qualen waren die meinen. Und ebenso sein Zwist mit Gott«: Will Eisner über den »Helden« seiner bekanntesten Graphic Novel Foto: Carlsen

Will Eisner

Storys aus der Bronx

Zum 100. Geburtstag des Zeichners erscheint eine Neuausgabe seiner legendären Graphic Novel

von Georg Patzer  06.03.2017 19:59 Uhr

Da hat er noch einmal Glück gehabt. Gerade will er aus dem Fenster springen, da ruft ihn die neue Nachbarin: »Haaa-llo! Mister Shaftsbury!! Könnten Sie mal kurz rüberkommen?« Sie hat einen Job für ihn: »Ich möchte Sie keinesfalls beleidigen, Mr. Shaftsbury, aber wir brauchen jemanden, der kein Jude ist und am Schabbat unseren Ofen anzünden kann und das Licht anmacht«, sagt sie und gibt ihm gleich die 50 Cent für die Woche im Voraus.

Kurz zuvor hat Mr. Shaftsbury seinen Job verloren, musste umziehen, in die Bronx. Ein Abstieg, vor dem es ihm grauste. Aber dann lernt er Rebecca kennen, die Nachbarstochter, die sich für ihn interessiert, ihn zum Eislaufen einlädt, ihn fragt, ob er verheiratet sei – die Eltern sehen es nicht gar so gern, aber was soll man machen. Und dann bekommt er doch noch einen Job als Laufbursche, muss Wertpapiere zur Bank bringen. Als die Mafia das mitbekommt, soll Mr. Shaftsbury ausgeraubt werden. Aber ein verrückter Zufall verhindert die Tat.

armut Will Eisner ist einer der Pioniere der Graphic Novel. Der Begriff stammt von ihm, sein Buch Ein Vertrag mit Gott war das erste mit dieser Bezeichnung als Untertitel. Geboren am 6. März 1917 als William Erwin Eisner in Brooklyn, Sohn der Rumänin Fannie Ingber und des Österreichers Shmuel Eisner, der Bühnenbilder für das Jüdische Theater in der 2nd Avenue malte, veröffentlichte er seinen ersten Comic – über Armut in der Bronx – schon 1933. Ab 1940 entwickelte er für eine sonntägliche Zeitungsbeilage seine erste Reihe The Spirit, ein genreübergreifender Comic mit gewagten filmischen Perspektiven, eine Mischung aus Detektivgeschichte, Melodram, Horror und Mystery, mit einem gehörigen Schuss Komik.

Nach seiner Einberufung zur US-Armee im Jahr 1942 zeichnete Eisner für die Zeitschrift »Army Motors« Comics, die den Soldaten den fachgerechten Umgang mit Waffen und anderem militärischen Gerät beibringen sollten. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war und er ins zivile Leben zurückkehrte, führte er noch bis 1952 seine Serie The Spirit fort und zeichnete weitere Comicreihen wie Baseball, John Law, Kewpies oder Nubbin the Shoeshine Boy.

1978 erschienen die ersten vier Geschichten aus dem Mietshaus Dropsie Avenue 55 unter dem Titel A Contract with God, and Other Tenement Stories (Ein Vertrag mit Gott. Mietshausgeschichten). Eisner erzählt darin Episoden aus dem Emigrantenmilieu, er kennt die lebendige Atmosphäre, die kleinen Hoffnungen und das Elend aus seiner eigenen Jugend sehr gut. Es sind Geschichten von armen Menschen, die wie Elton Shaftsbury vom Börsencrash 1929 ruiniert werden, die wie Frimme Hersh mit Gott einen Vertrag abschließen, in Stein geritzt, und mit ihm hadern, als Gott seine Adoptivtochter Rachele sterben lässt. Oder Straßensänger Eddie, der beinahe berühmt wird, nur hat er leider die Adresse seiner Wohltäterin in spe im Suff vergessen.

emigranten In einer Geschichte dreht der gefürchtete antisemitische Hausmeister Mr. Scruggs seine Runden, bis ein kleines Mädchen ihn zu Fall bringt, in einer anderen fahren die armen Mieter im Sommer aufs Land, in die Catskill Mountains, in der Hoffnung, einen reichen Mann oder eine reiche Frau kennenzulernen, der sie aus der Armut rettet – meist vergeblich.

Will Eisners oft großformatige Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind von einer düsteren Atmosphäre unterlegt, selbst dann, wenn die Geschichten gut ausgehen. Eine leichte Bedrohung liegt immer über ihnen, der allgegenwärtige Antisemitismus, die drohende Armut, Krankheit, Irrsinn und Tod. Eisner nutzt auch in Ein Vertrag mit Gott filmische, wechselnde Perspektiven, zeichnet seine Figuren mit ausdrucksstarker, fast expressionistischer Mimik und Gestik. Er erzählt von einer Welt, die wir hier, in Europa, nur aus Filmen kennen: die Welt der armen jüdischen Emigranten in der »Goldenen Medine« USA.

Als Will Eisner (1917–2005) Ein Vertrag mit Gott 1978 zeichnete, fühlte er wie Frimme Hersh. »Seine Qualen waren die meinen. Und ebenso sein Zwist mit Gott«, erinnerte sich Eisner, dessen Geburtstag sich diese Woche zum 100. Mal jährt. Es ist der anhaltende Schmerz über den Krebstod seiner Tochter Alice acht Jahre zuvor, den Eisner mit der Figur des Frimme Hersh verarbeitet hat. Und zugleich eröffnete er als 60-Jähriger damit ein neues Kapitel in der Geschichte des Comics.

widersprüchlich »In einem Alter, in dem ich mich hätte zur Ruhe setzen können, beschloss ich, mich an eine neue Form der Comic-Literatur zu wagen, und entschied mich für den scheinbar widersprüchlichen Begriff Graphic Novel als Gattungsbezeichnung«, erklärte Eisner später.

Dass der Carlsen Verlag die revolutionäre erste Graphic Novel mit komplexer Handlung, unterschwelligem Humor, kauzigen Nebenfiguren und zahlreichen Femmes fatales wieder neu aufgelegt hat, ist ein ebenso seltenes wie literaturgeschichtliches Glück.

Will Eisner: »Ein Vertrag mit Gott. Mietshausgeschichten«. Carlsen, Reinbek 2017, 528 S., 19,99 €

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025