Frankfurt

»Sternstunde der Universität«

Musste sein Jurastudium zwangsweise abbrechen: Norbert Wollheim im Exil 1934 Foto: Wollheim Memorial

Trude Simonsohn kann es kaum fassen. Als Frankfurterin und Überlebende der Schoa hatte sie jahrelang für diesen Tag gestritten. »Ich bin überglücklich und froh über die Namensänderung.« Benjamin Ortmeyer vom Fritz-Bauer-Institut spricht gar von einer »Sternstunde der Universität«.

Der Leiter der Forschungsstelle für NS-Pädagogik, der im erweiterten Senat der Frankfurter Goethe-Uni sitzt, ist »zutiefst begeistert« von dem Umdenken zum 100. Geburtstag der Hochschule. Und die Studenten, die zuletzt mit einer »Initiative Wollheim-Platz« kräftig Druck ausgeübt hatten, »sind glücklich und erschöpft, dass wir das geschafft haben«, sagt AStA-Chef Daniel Katzenmaier.

Der Senat der Universität hat am 23. Juli dem jahrelangen Ansinnen zugestimmt, dass aus dem Grüneburgplatz vor dem Haupteingang der Universität künftig der Nobert-Wollheim-Platz wird – benannt nach dem jüdischen ehemaligen Zwangsarbeiter Norbert Wollheim, der 1950 im Nachkriegsdeutschland als Erster erfolgreich eine Entschädigungsklage gegen die I.G. Farben einreichte. Wollheim war später auch Mitbegründer des Zentralrats der Juden in Deutschland.

geschichtsträchtig Fast zehn Jahre lang haben KZ-Überlebende und ehemalige Zwangsarbeiter wie Trude Simonsohn, Karl Brozik, Arno Lustiger, Vertreter der Jewish Claims Conference, des Fritz-Bauer-Instituts, der jüdischen Gemeinde und Studenten um die Namensänderung an dieser geschichtsträchtigen Stelle gekämpft. Die Goethe-Universität war 2001 in die prächtigen Gebäude im Frankfurter Westend gezogen, in denen die I.G. Farben ihren Hauptsitz hatte – jenes Unternehmen, das mit dem Lager Monowitz und der Produktion von Zyklon B tief in die NS-Geschichte und den Holocaust verstrickt war.

Im Jubiläumsjahr der Hochschule lenkte der scheidende Uni-Präsident Werner Müller-Esterl ein und befürwortete das bis dato stets abgelehnte Anliegen. Im 38-köpfigen Senat der Hochschule wurde der Antrag mit nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung beschlossen. »Um ein prominentes Opfer des IG-Farben-Konzerns zu würdigen und die historischen Persönlichkeiten der Goethe-Universität«, so hieß es in einer anschließenden Erklärung.

Gleichzeitig neu benannt werden nämlich nicht nur die imposante Rasenfläche vor dem Haupteingang, sondern auch andere Plätze und Straßen auf dem Campus Westend – nach Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die in Frankfurt lehrten, von den Nazis vertrieben wurden und an den Main zurückkamen.

konkret Diskussionen um einen möglichen Wollheim-Platz gab es bereits seit 2001, nachdem die Universität mit ihrem Teilumzug vom Stadtteil Bockenheim in den Poelzig-Bau im Westend das historisch belastete Erbe übernahm. Der konkrete Vorschlag, den Grüneburgplatz umzubenennen, kam 2005. Weil die Universität und auch der für Straßennamenänderungen zuständige Ortsbeirat dagegen waren und der Streit später zu eskalieren drohte, machte der Schoa-Überlebende Arno Lustiger den Kompromissvorschlag für ein Mahnmal auf dem Universitätsgelände. Das Wollheim-Monument steht seither an einer der Zufahrten zum Campus, ein kleines Pförtnerhaus, versehen mit einer Ausstellung und dem so trefflichen Zitat Norbert Wollheims von 26. August 1945: »Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit.«

Damit war die Debatte zunächst beigelegt, auch wenn Studenten immer mal wieder mit Transparenten und Aktionen eine Norbert-Wollheim-Universität oder einen Wollheim-Platz forderten. Dass der Ortsbeirat im Juni dieses Jahres nun doch den Vorschlag erneut aufgriff und auch befürwortete, schreibt AStA-Chef Daniel Katzenmaier unter anderem den geänderten politischen Mehrheiten dort zu – Rot-Grün regiert – und auch dem Jubiläumsjahr der Universität. Mit einer Wollheim-Initiative – einer Postkarten- und Unterschriftenaktion – hätten die Studierenden für öffentlichen Druck gesorgt. So bezog etwa auch die FAZ mehrfach klar Stellung für die Namensänderung.

glücklich
Die Schoa-Überlebenden, die Jewish Claims Conference und der Förderverein des Fritz-Bauer-Instituts schalteten sich mit einem Offenen Brief an den Universitätspräsidenten ein. Trude Simonsohn sagt, dass das Mahnmal immer nur ein Kompromiss war und das eigentliche Ziel der Wollheim-Platz blieb. »Es war zuletzt ein glückliches Zusammentreffen, wie ich es mir nie erhofft hätte«, freut sie sich über den Sinneswandel.

Wann die Namensänderung nun genau greifen wird, kann Olaf Kaltenborn, Sprecher der Universität, nicht sagen. Einen zeitlichen Fahrplan gebe es noch nicht. Im September müsse erst noch der Ortsbeirat erneut zustimmen. Und auch der bereits existierende Adorno-Platz auf dem Campus Bockenheim muss »umziehen«.

Was den Sinneswandel letztlich erzeugte? Das Jubiläumsjahr habe das Thema erneut auf die Agenda gebracht, sagt Kaltenborn und spricht von einer Geste für die Opfer. Die Universität wolle einen kritischen Blick auf ihre eigene Geschichte werfen. Dazu gehören ihre berühmten Wissenschaftler wie Adorno oder Horkheimer und eben auch der Nichtakademiker, Schweißer und spätere Buchhalter Norbert Wollheim.

Andrea Kiewel

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