Musik

Splitternackt am Lichterfest

Alle Jahre wieder Kartoffelpuffer! Latkes mit saurer Sahne, Latkes mit Marmelade und manchmal auch Latkes mit Kaviar. Gastronomisch dreht sich Chanukka monoton in der Endlosschleife, immer im Kreis wie der Dreidel: »Nun«, »Gimel«, »He«, »Schin«.

Umso erfreulicher, dass es zu Chanukka ein Füllhorn von großartigen wie einfallsreichen Songs gibt. Pünktlich zur Geschenkesaison ist nun etwa die neue Scheibe der Maccabeats erschienen, einer jüdischen Boygroup von der Yeshiva University in New York, die ausschließlich a cappella singt. Neben dem unvermeidlichen »Maoz Tzur« und »Oh Hanukkah« gäbe es auf der Scheibe sogar ein paar Entdeckungen zu machen. Doch die werden mit derart viel Schmalz verkleistert, dass man die CD höchstens seinen Schwiegereltern schenken möchte.

Shakira Dass man religiöse Inhalte auch pfiffiger singen kann, beweisen die Fountainheads aus Ein Prat. Mit ihren Songs sollen junge Israelis zu besseren Staatsbürgern erzogen werden. Musikalisch klappt das reibungslos. Zu allen Festen und Feiertagen produzieren die jungen Studenten großartige Remakes.

Während sie ihre neuesten »Moves« in den Staub der Judäischen Wüste stampfen, singen sie zum Beispiel den Rosch-Haschana-Song »Dip your Apple«, wobei die Melodie Shakiras WM-Hit »Waka Waka« zitiert. Das hat offensichtlich genauso viel Spaß gemacht wie der Dreh zum Chanukka-Klassiker »Light Up the Night«. Jüdisch sein, zumal an Chanukka, kann ja so viel Freude machen. Und nicht nur in Ein Prat.

Das indes sieht die jüdische Hauptfigur der amerikanischen Animationsserie South Park ganz und gar anders. Wenn Kyle Broflovski an Chanukka an das üppige Weihnachtsfest seiner christlichen Mitschüler denkt, bekommt er den Sozialneid-Blues. Kyle glaubt, er sei die ärmste Sau auf Erden: »I’m a Jew, a lonely Jew, I’d be merry, but I’m Hebrew – on Christmas.« Auch wenn man dem nicht zustimmt – der Song ist ein moderner Chanukka-Klassiker und hat bei YouTube mehrere Millionen Klicks.

Adam Sandler In Hollywood erklingt das Hohelied auf Chanukka am häufigsten. Adam Sandlers »Hanukkah Song« ist vielleicht das berühmteste Beispiel. Der Witz ergibt sich allein daraus, dass sich rein gar nichts auf »Chanukka« reimen will, außer vielleicht »Jarmulka« – und das auch nur mit Biegen und Brechen. Doch Sandlers Lied funktioniert auch deshalb, weil er ein ironisches »Leidens-Wir« erzeugt. Er listet jüdische Promis auf, mit denen wir gemeinsam unter dem halluzinierten Ausschluss vom Weihnachtsfest leiden.

Hollywood ist auch sonst in Sachen Chanukka überaus fantasievoll. Das Lichterfest versteckt sich überall, selbst hinter der Titelmelodie der Sitcom The Big Bang Theory, die jede Woche auch im deutschen TV auf ProSieben zu sehen ist. Die Melodie stammt von den Barenaked Ladies aus Toronto. Von den drei Kanadiern stammt auch der Klassiker »Hanukkah, o Hanukkah« vom 2004 veröffentlichten Album Barenaked for the Holidays. Dem Titel mag man sich gerne anschließen, trotz der üblicherweise tiefen Temperaturen an Chanukka!

Um die kalte Jahreszeit geht es auch in dem Song »All I Want for Christmas is ... Jews«, ein umwerfender Song, auch wenn man Mariah Careys Ohrwurm mit dem gleichklingenden Songtitel nicht mehr hören kann. Im Wesentlichen geht es bei der Parodie um die Aufzählung berühmter Promi-»Jews«, deren Vorzüge gelobt werden. Wobei kein Klischee ausgelassen wird, nicht einmal der berühmte »Big Shtick«, den die Söhne Israels angeblich – und nicht nur splitternackt am Lichterfest – besitzen. Der Song jedenfalls stammt vom amerikanischen Komikerinnen-Trio Hot Box (übersetzt: Heiße Büchse), die sich im Video als weihnachtliche Rentiere verkleidet haben. Sexy ist das allemal.

schtetl Das kann man vom ollen »Dreidel-Song« nicht gerade behaupten, denn er klingt eher nach jiddischem Schtetl-Mief. Doch wer genau hinhört, findet auch unter der Dreidel-Rubrik ein paar echte Perlen. Zum Beispiel von der »First Lady des Children Song«, der Sängerin Ella Jenkins. Dabei hatte die Sängerin aus St. Louis mit dem Judentum rein gar nichts am Hut.

Das dachte man auch von Woody Guthrie, dem Altmeister des Protestsong. Guthrie war zwar nicht jüdisch, wohl aber seine zweite Ehefrau. Mit ihr feierte er Chanukka. Das wurde erst vor Kurzem bekannt, als die wohl berühmteste Klezmerband, die »Klezmatics«, Songs von Guthrie aufgenommen und damit einen Grammy gewonnen hat – als erste Klezmerband überhaupt.

Einen Grammy für ihr Lebenswerk hat auch die jüdische Punkband The Ramones erhalten. Leider fällt ihr Beitrag zu Chanukka in die falsche Kategorie, denn er heißt »Merry Christmas, I don’t wanna fight tonight«. Und auch die drei jüdischen Rapper der Beastie Boys schweigen sich beharrlich über Chanukka aus. Immerhin gibt es eine wunderbare Parodie auf einen ihrer größten Hits. Er stammt von den B-Boyz. Die drei jüdischen Kids Ben, Jake und Max Borenstein lassen es bei »Fight for your Right to Dreidel« so richtig krachen. Wehe, wenn Mamme Borenstein das gewusst hätte!

Matisyahu Doch es geht auch ganz friedlich: kein Puffer, kein Punk. Einfach nur ein Hohelied auf die besinnliche Stimmung beim Lichtzünden. Einer der schönsten Songs stammt von Matisyahu und heißt »Miracle«. Ein Lied, das exemplarisch für die vielen Hits rund ums Lichterfest steht.

Die ewigen Latkes hin oder her: Zumindest beim Thema Musik gibt es an Chanukka alle Jahre wieder etwas Neues zu entdecken.

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024