Oper

Sound mit Suchtpotenzial

Szene aus der Oper »Manru« in Halle Foto: Anna Kolata

Oper

Sound mit Suchtpotenzial

Halle glänzt mit »Manru« von Ignacy Jan Paderewski – das deutschsprachige Libretto kommt von dem jüdischen Publizisten Alfred Nossig

von Joachim Lange  26.03.2022 20:46 Uhr

Die Oper Manru von Ignacy Jan Paderewski (1860–1941) ist heute eine ambitionierte Ausgrabung. Dabei war sie nach ihrer Uraufführung –1901 in Dresden unter Ernst von Schuch – ein Sensationserfolg des damaligen Pianisten-Weltstars.

Dass das Werk nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwand, lag am politischen  Engagement des Komponisten für die staatliche Wiedergeburt Polens. Er geriet zwischen die Fronten - den Polen war er zu deutsch, den Deutschen zu polnisch. Bis 1920 war Paderewski der erste Ministerpräsident und Außenminister des wiederbegründeten Polens und unterzeichnete in dieser Funktion 1919 den Versailler Vertrag für seine Heimat.

WAGNERFORMAT An der Kompostion selbst es nicht gelegen. Die hat eine emotionale Durchschlagskraft, die bei einem heute mit Spätromantik und Verismo vertrauten Opernpublikum direkt ankommt! Da gibt es sehr eigenständig (nach-)erfundene Folklore mit großen Chören. Aber sie steigert sich auch atemberaubend ins Wagnerformat. Nordeuropäischer Verismo auf den Schultern Wagners - so ungefähr. Es ist ein Sound mit Suchtpotenzial.

Das deutschsprachige Libretto stammt von dem jüdische Publizisten und Aktivisten Alfred Nossig (1864–1943). In Lemberg (Lviv) geboren, führte ihn sein bewegtes Leben an die Seite von Theodor Herzl. Mit dem Begründer des politischen Zionismus überwarf er sich allerdings gründlich. Über etliche Umwege wurde der einstige Opernlibrettist dann 1939 auf Befehl der Gestapo von der Jüdischen Gemeinde in Warschau als Leiter der Abteilung Kultur und Künste angestellt und vier Jahre später von der jüdischen Untergrundorganisation im Ghetto als Spitzel hingerichtet.

ENDREIM In Manru passen Text und Musik haargenau. Im Detail mit einer ausgeprägten Neigung zum Endreim. Auf Herz folgt Schmerz. Manru entstammt der Roma-Sippe der Erumanuels, sie ist ein Bauernmädchen. Als Paar leben sie isoliert, weil sowohl die bäuerliche Dorfgemeinschaft als auch die Roma vehement gegen diese Verbindung sind und beide verstoßen haben.

Es geht zwar um die im Libretto zigfach so benannten Zigeuner, ihr Selbstverständnis  beziehungsweise die Klischees, die die anderen mit ihnen verbinden. Aber es geht generell um Konflikte in einer Gesellschaft. Diese Roma könnten auch für Juden oder andere Gruppen stehen. (Im Programmheft wird der Umgang mit der brisanten Vokabel »Zigeuner« unter der Überschrift zwischen »Rufmord und Verklärung« ausführlich erörtert.)

So wie der Grundkonflikt mit einer scheiternden Liebe verbunden ist, würde das Ganze szenisch einen beherzten Zugriff auf oder durch die zeitlichen und inhaltlichen Schichtungen ermöglichen, ja erfordern. Leider bleibt das die Inszenierung von Katharina Kastening komplett schuldig. Das ist der Schwachpunkt dieses ansonsten so beachtlichen Projektes.

TRENNWAND Die Bühne von Ausstatter Gideon Davey besteht aus einer schwebend-beweglichen durchscheinenden Trennwand. Dahinter gibt es zwei Glasboxen als Hütte der Kleinfamilie mit Kind. Die Bauernbevölkerung kommt als festlich aufgehübschte Hochzeitsgesellschaft von heute daher. Bei den Roma ist das Ganze etwas bunter. Dazu gibt es eine Chorregie und Personenführung, die eher arrangiert und zum Teil recht unbeholfen wirkt. Hier scheitert »nur« ein Emanzipationsversuch zweier Liebender, die ihren sozialen und kulturellen Prägungen letztlich nicht entkommen.

Musikalisch glänzt vor allem die Staatskapelle unter ihrem ersten Kapellmeister Michael Wendeberg. Thomas Mohr ist ein wagnertenoral strahlender Manru, Romelia Lichtenstein eine berührende Ulana. Am Ende werden neben dem Orchester das ganze Ensemble und die Chöre zu Recht vom Premierenpublikum gefeiert. Fazit: Ein Ausgrabung, die auf jeden Fall lohnt und nirgendwo sonst live zu erleben ist!

Nächste Vorstellungen: 27. März, 1. April, 22. April, 22. Mai und 30. Juni

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025