Musik

»Sinn für Unsinn«

Die »Jewish Monkeys«: (o.v.l.) Arnon de Botton (Posaune), Haim Vitali Cohen (Gitarre), Ron Boiko; (M.v.l.) Henry Vered (Drums), Yoli Baum (Bass), Gael Zaidner, Ran Bagno (Akkordeon); (u.) Jossi Reich Foto: Orit Arnon

Ronni und Jossi, die »Jewish Monkeys« präsentieren bei den Jüdischen Kulturtagen Berlin diese Woche »burlesken Klezmer-Rock« mit satirischen Texten über Klimawandel, prügelnde Väter und den Nahost- konflikt. Muss man zwingend jüdisch sein, um diesen Humor zu verstehen?
Jossi: Nein, überhaupt nicht. Man kann die Marx Brothers und Woody Allen oder eben die Texte von Ronni Boiko auch verstehen, wenn man Chinese ist. (lacht)
Ronni: Ich glaube ohnehin nicht, dass unsere Musik und unser Humor jüdisch sind. Wir sind zufällig Juden, auch wenn das natürlich Einfluss auf unsere Musik hat.
Jossi: Da bin ich anderer Meinung! Den Humor in unseren Liedern kann zwar jeder verstehen, aber er ist schon spezifisch jüdisch-osteuropäisch-polnisch-rumänisch. Und natürlich auch deutsch. Wir sind ja schließlich in Deutschland groß geworden.

Sogar mit deutschem Schäferhund.

Ronni: Meine Blondie!
Jossi: Sie hieß nicht Blondie. Blondie hieß der Hund von jemand anderem. (lacht)

Darf man solche Witze nur machen, wenn man jüdisch ist? Es wird ja auch gesagt, dass nur Behinderte Witze über Behinderte machen dürfen.
Ronni: Wir sind auch in gewisser Weise behindert, deshalb dürfen wir Witze über uns selbst machen. Aber in den Texten ist das doch gar nicht so spezifisch. Es gibt ein Lied, »Johnny Is The Goy For Me«, in dem es speziell um eine jüdische Figur geht. Aber in den meisten anderen Texten doch nicht.
Jossi: Also, ich pflichte Ronni ganz und gar nicht bei! Das fängt ja schon beim Namen an: Wenn wir statt Klezmer schwarze Musik machen würden, könnten wir uns als Weiße trotzdem nicht – Entschuldigung, dass ich das Wort in den Mund nehme – Nigger nennen. Nur wir als Juden können uns Jewish Monkeys nennen, was natürlich im arabischen Raum ein Schimpfwort ist. Das wussten wir aber am Anfang gar nicht.

Kokettieren Sie mit Ihrem Judentum?

Jossi: In jedem Fall!
Ronni: Ich weiß nicht. Ich würde das jetzt nicht so hoch hängen. Wir kokettieren mit vielen Dingen. Wenn wir schwul wären oder behindert oder einer anderen Randgruppe angehören würden, würde das auch in unsere Musik einfließen. Und genauso ist es mit dem Judentum. Es ist ein Teil von uns.
Jossi: Auch wenn Ronni das von sich weist: Sie haben schon recht! Ich bin ein typischer Diaspora-Jude, und natürlich hat es uns sehr beeinflusst, dass wir als Juden in Deutschland groß geworden sind. Und wir kokettieren damit. Das gehört zu unserer Kunst!

Wollen Sie provozieren?

Ronni: Die Texte und die Musik, die wir schreiben, entstehen nicht aus der Intention heraus, jemanden zu provozieren. In erster Linie sehe ich uns als Künstler. Wir setzen uns nicht hin und überlegen, welche Message wir übermitteln, welches Ziel wir erreichen wollen. Wenn es jedoch jemanden provozieren sollte, stört uns das nicht. Und objektiv betrachtet hat unsere Musik noch viele andere Ebenen.
Jossi: Ich bin da nicht ganz bei dir, Ronni. Gewisse Texte sind einfach provokant. Und ich freue mich darüber. Es geht gar nicht anders, sonst wären wir nicht wir. Das hat zu tun mit Ronni und mit mir, mit unserer Kindheit in Deutschland. Es hat auch viel damit zu tun, dass wir Juden sind. Und das fließt in unsere Musik ein, die sonst nicht denkbar wäre. Aber unsere Musik geht eben auch weit darüber hinaus!

Sie gehen diese und kommende Woche mit Ihrem neuen Album »Mania Regressia« auf Deutschlandtour. Ist das, politisch gesehen, ein geschickt gewählter Zeitpunkt?
Ronni: Auf jeden Fall ist die Stimmung nicht so gut. Aber wir haben uns das nicht ausgesucht. Die Tour ist schon von langer Hand geplant. Hier im Nahen Osten passieren Dinge sehr spontan, leider nicht immer nur positive. Ich hoffe, dass die meisten Menschen, die uns hören, unterscheiden können zwischen Kunst und Außenpolitik.
Jossi: Was im Gazakrieg passiert ist, war schrecklich. Aber jeder, der ein bisschen Grips in der Birne hat, weiß, dass unsere Tour damit nicht in Zusammenhang steht. Und wir werden nicht wegen dem, was politisch geschieht, unser Konzept ändern. Solche Dinge werden immer passieren!

Hier in Deutschland, Ihrer früheren Heimat, wächst der Antisemitismus. Macht Ihnen das Angst?
Jossi: Es macht mir nicht wirklich Angst, weil es für mich nicht unerwartet ist. Ich glaube, dass Judenhass wie Homophobie oder Frauenverachtung tief in der Kultur steckt. Das ist natürlich von dem zu trennen, was in Israel politisch abgeht. Aber in dem Moment, in dem es zu einer Situation wie der jetzigen kommt, wird da nicht mehr getrennt. Ich hoffe einfach, dass diese Idioten verstehen, dass Jüdischsein und israelische Politik nichts miteinander zu tun haben.

Ronni Boiko und Jossi Reich lernten sich in den 70er-Jahren im Knabenchor der Frankfurter Synagoge kennen. In den 2000ern, nachdem sie beide Alija gemacht hatten (»nicht unbedingt aus zionistischen Motiven«), gründeten sie in Tel Aviv mit Gael Sajdner das Gesangstrio »The Jewish Monkeys«, das, »bewaffnet mit politisch inkorrekten Texten und einem ausgeprägten Sinn für Unsinn, Marx-Brothers-mäßigen Tumult verbreitet«, so die Eigenbeschreibung.

Die Band ist diese und kommende Woche auf Deutschlandtour (6.9. Darmstadt, Hoff-ART Theater; 7.9. Berlin, Synagoge Rykestraße; 9.9. Frankfurt, Das Bett; 11.9. München, Atomic Café; 12.9. Karlsruhe, Tollhaus)

www.facebook.com/pages/JEWISH-MONKEYS

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  08.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025