Bayreuth

Sieg über Gruft und Hölle

Intellektuell interpretiert, ohne dem Werk das Geheimnisvolle zu nehmen: Elena Pankratova als Ortrud in Yuval Sharons »Lohengrin« Foto: Enrico Nawrath

Gelächter auf dem Hügel. Endlich. Kichern bei Kosky und Kratzer. Was Altwagnerianer erschüttert, beglückt die Rezensentin. Auf dem Hügel sind seit einigen Jahren die Weiheverweigerer unterwegs, junge Regisseure, die das wagnertypische Pathos demontieren oder persiflieren.

Tobias Kratzer hat aus dem Tannhäuser in diesem Jahr ein hinreißendes Roadmovie gezaubert, mit einer Anarchotruppe, die im Venusmobil durch die Lande reist und das Festspielhaus via Videoprojektion entert. Ein Bravourstück der gedankenvollen Leichtigkeit, das die in Bayreuth wahrlich seltenen Momente befreiten kollektiven Lachens möglich macht.

Die Macht der Antisemiten auf dem Hügel ist und bleibt gebrochen.

LAchen Barrie Koskys geniale Meistersinger-Inszenierung hat im dritten Jahr an Schwung und Tiefe noch gewonnen, die Familienaufstellung im Hause Wahnfried legt alle Neurosen der Künstlerclique bloß. Das Lachen gefriert, wenn sich zu Beckmessers Demütigung ein riesiger Ballon öffnet und der zweite Aufzug mit einer »Stürmer«-Karikatur des ewigen Juden endet. Koskys Meisterstück legt den Finger auf alle Wagnerwunden und deutschtümelnde Widerlichkeiten, ohne zu belehren. Poetisch, ironisch, intelligent, jüdisch.

Yuval Sharons Lohengrin mit dem graublauen zauberhaften Bühnenbild von Neo Rauch stellt die jüdische Tugend des Fragens in den Mittelpunkt seiner Inszenierung vom vergangenen Jahr. Der amerikanische Regisseur mit israelischen Wurzeln hat Lohengrin intellektuell interpretiert, ohne dem Werk das Geheimnisvolle zu nehmen.

Park In den Pausen wandeln die Festspielbesucher durch den Park und die hervorragende Ausstellung über jüdische Künstler in Bayreuth und warten schließlich vor dem Balkon auf die Bläser, die ihnen den nächsten Aufzug ankündigen.

Spätestens dort stellt sich jedes Jahr wieder, aller musikalischen Festlichkeit zum Trotze, jene leichte Beklemmung ein, welche die Rezensentin an diesem Ort noch immer ereilt. Es ist der berühmte Balkon, auf dem die unverbesserliche, unbelehrbare Nazianbeterin Winifred Wagner in unseligster Zeit ihren »Wolf« präsentierte, den »bürstchenbärtigen Geiferschreier« (Herbert Rosendörfer), der das japsend-jubelnde Volk grüßte.

Die Meistersinger legen den Finger auf alle Wagnerwunden und alles Deutschtümelnde.

Während die Bläser Aufstellung nehmen, um das Lohengrin-Motiv »Nie sollst du mich befragen« zu spielen, wage ich das Gedankenspiel. Was wäre wohl, wenn der pathologisch humorfreie, böseste Gefühle weckende und pathosgeschwängerte Wagneranbeter und Weltenzerstörer aus Braunau in seinem allertiefsten Kreis der Hölle erleben müsste, wie das Publikum in seiner Sommerfluchtburg Bayreuth befreit lachen darf?

Und: noch höllischer, wenn er wüsste, dass ein jüdischer Regiemeister das deutscheste aller Wagnerwerke, die Meistersinger, im Bühnenbild des Internationalen Militärgerichtshofs Nürnberg brillant inszeniert hat? Was wäre, wenn ein fieses Unterteufelchen dem ehemaligen Anstreicher berichtete, dass ein jüdischer Spielleiter die romantischste aller Wagneropern, den Lohengrin, zu einem Diskurs über die Macht der intelligenten Frauen und die Kraft der skeptischen Frage gedeutet hat? Könnte seine Qual größer sein?

Gedankenspiel Das Gedankenspiel macht Spaß und wagt sich zeitlich noch weiter zurück. Was wäre wohl, wenn der in seinem nahen Grabe zweifellos geniale Schöpfer dieses Gesamtkunstwerk-Universums wüsste, dass ein jüdischer Dirigent aus Petersburg seinen Parsifal dirigiert? Semyon Bychkov, seit dem vergangenen Jahr dabei, ein Wagnerversteher, der zuerst den Poeten Wagner begreift und dann den Komponisten. Der Leiter der tschechischen Philharmonie liebt Bayreuth, denn »alle Menschen, die hier involviert sind, verbindet eine tiefe Liebe zur Kunst von Wagner«, wie der 67-Jährige im Festspielmagazin »taff« sagte.

RABBINER Wird es Wagner, dem Verfasser von Das Judenthum in der Musik schön ungemütlich in seiner Gruft? Der Komponist hatte vor der Uraufführung gemeinsam mit seiner Frau Cosima den hochgebildeten Dirigenten Hermann Levi, einen Rabbinersohn, bekniet, sich für den Parsifal taufen zu lassen.

Allein, Levi blieb sich und seinem Judentum treu, das Orchester wollte ohne ihn nicht spielen, Ludwig II., ohnehin genervt von Wagners Antisemitismus, hielt ebenfalls zu Levi, und so musste Wagner einem Juden das Pult für seine Erlösungsoper überlassen. Jetzt begeistert Bychkov das Publikum, so, wie es einst Daniel Barenboim mit dem Tristan und Kyrill Petrenko mit dem Ring getan hatte, beide Weltstars, beide jüdisch. Kurz: Die Macht der Antisemiten auf dem Hügel ist und bleibt gebrochen. In Gruft und Hölle gilt es, dies zu akzeptieren.

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Singend durch Paris oder Warum unser Chanukka-Song der beste ist

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Literatur

Deutsch-Hebräischer Übersetzerpreis für Helene Seidler

Die Schriftstellerin wurde für die Übersetzung des Romans »Unter Freunden stirbt man nicht« von Noa Yedlin ausgezeichnet

 12.12.2025

Zürich

Protest gegen ESC-Teilnahme Israels: Nemo gibt Pokal zurück

Mit der Zulassung Israels verrate der Gesangswettbewerb seine Werte von »Einheit, Inklusion und Würde für aller Menschen«, so Nemo

 12.12.2025

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025