Geschichte

»Sie wissen viel zu wenig«

Timothy Snyder Foto: dpa

Einseitig, verzerrt, ethnozentristisch: In klaren Worten hat der amerikanische Historiker Timothy Snyder die Holocaustforschung in Deutschland kritisiert. »Die Historiker in Deutschland wissen viel zu wenig über die Zeit des Nationalsozialismus in Osteuropa«, sagte Snyder im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen, das in der morgigen Donnerstagsausgabe erscheint.

»Die Schoa ist ein elementarer Teil der osteuropäischen Geschichte, sie wirkt sich bis heute auf die Politik der Staaten Osteuropas aus. Diese Tatsache wird jedoch von hervorragenden deutschen Historikern vernachlässigt«, so Snyder weiter. Die allermeisten jüdischen Opfer stammten nicht aus Deutschland, sondern aus Osteuropa. Dieser Umstand indes finde weitgehend keine Beachtung in der deutschen Literatur zum Holocaust.

faktenwissen Darüber hinaus kritisiert der in Yale lehrende Schoaforscher und Autor des 2011 erschienenen Bestsellers Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin, dass der Holocaust in Deutschland ausschließlich aus einem lernpädagogischen Blickwinkel studiert werde. »In Deutschland hat die Frage nach den Lehren aus der Schoa das eigentliche Ereignis in den Hintergrund gerückt«, betonte Synder. Das führe dazu, dass das faktische Wissen über den Völkermord alles andere als stark ausgeprägt sei.

Anlass des Interviews ist Snyders in diesen Tagen veröffentlichtes Buch Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann. Darin beschreibt Snyder, dass Politik und Historiker an einigen der wichtigsten historischen Lehren vorbeigehen, die aus dem Holocaust zu ziehen sind, wenn außer Acht gelassen wird, welche Faktoren und Bedingungen ihn ermöglicht haben.

Timothy Snyder wurde 1969 geboren, forscht und lehrt als Historiker an der Yale University und ist Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaft vom Menschen in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Schoa und die Geschichte Osteuropas. Snyders aufsehenerregendes Buch Bloodlands wurde in 30 Sprachen übersetzt und unter anderem mit dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet. Darin verknüpft er Stalins Terrorkampagnen, Hitlers Holocaust und den Hungerkrieg gegen die Kriegsgefangenen.

Kolumne

Sicherheit, was für ein absurdes Konzept!

Warum ich in diesen »schrecklichen Tagen« zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur an Anemonen denke

von Laura Cazés  09.10.2024

Geschichte

Aufstand der Verzweifelten

Am 7. Oktober 1944 erhob sich das Sonderkommando im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gegen die SS

von Stephan Lehnstaedt  09.10.2024

7. Oktober

Schwerer Abend mit Friedman und Habeck

Ein »harter« Moderator und ein zerknirschter Politiker diskutieren über Antisemitismus

von Ayala Goldmann  09.10.2024 Aktualisiert

Interview

»Lasst uns zusammenkommen und reden«

Babak Shafian über Solidarität, Krieg, Juden im Iran und erfolgreiche Tourneen

von Christine Schmitt  08.10.2024

Buch

Ein fiktiver Dialog über Glaube und Versöhnung

Bischof Wilmer begegnet der ermordeten Jüdin Etty Hillesum

von Michael Althaus  08.10.2024

Berlin

Vier israelische Musiker werden mit Opus-Klassik-Preis geehrt

Auszeichnungen für Avi Avital, Shirley Brill, Jonathan Aner und Efrat Alony

von Christine Schmitt  08.10.2024

Meinung

Sie tanzen weiter

Seit dem 7. Oktober hat die globale elektronische Musikszene versagt – aber die Überlebenden des Nova-Festivals geben nicht auf

von Nicholas Potter  07.10.2024

7. Oktober

Der längste und furchtbarste Tag

Marko Martin fragt in seinem neuen Buch, wie Israelis mit den Massakern umgehen. Ein Vorabdruck

von Marko Martin  06.10.2024

Analyse

Die neuen alten Grenzen der Solidarität

Erstaunt über den aktuellen Judenhass? Lesen Sie doch mal Jean Amérys 60 Jahre alte Texte

von Leeor Engländer  06.10.2024