Literatur

Shitstorm über Hogwarts

Wird von pro-palästinensischen Aktivisten instrumentalisiert: Zauberer Harry Potter Foto: dpa

Literatur

Shitstorm über Hogwarts

Warum Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling sich auch nach heftigen Angriffen gegen einen Boykott Israels ausspricht

von Peter Praschl  04.11.2015 01:06 Uhr

Welch kindlichen Gemütes Israelgegner sind, wurde in der vergangenen Woche wieder einmal deutlich. Die Harry Potter-Autorin J.K. Rowling hatte einen offenen Brief von 150 britischen Intellektuellen unterzeichnet, der sich gegen jene Boykottbewegung wendet, die dazu auffordert, mit israelischen akademischen und kulturellen Institutionen – gewissermaßen als imaginierte Auslöschung – nicht einmal zu kommunizieren. Kulturelle Boykotte seien nicht akzeptabel, hieß es darin, und solche, die allein gegen Israel gerichtet seien, diskriminierend und dem Frieden nicht dienlich.

Am Tag danach brach ein Shitstorm über Rowling herein, genährt nicht nur aus der üblichen Feindseligkeit gegen jene, die in harten Auseinandersetzungen auf der anderen Seite der Barrikade stehen, sondern auch aus der durchaus unüblichen Enttäuschung über eine Autorin, deren Werk man irrtümlich für antizionistisch gehalten hatte.

War Harry Potter, hieß es in den Tweets und Facebook-Postings, die sich über Rowling empörten, nicht ein Rebell gegen die Besatzung durch die dämonischen Mächte des Bösen? Es klang fast, als hätte die Autorin durch ihre Unterschrift Pali-Soli-Anhängern ihre schönsten Kindheitserinnerungen ruiniert (die verrückterweise mit dem Irrtum zu tun haben schienen, dass jemand, den sie mochten, Israel auch nicht mochte ...).

Benjamin Netanjahu Rowling antwortete mit einer ausführlichen Exegese ihres eigenen Werkes. Ihr habt ja recht damit, ließ sie die Antizionisten unter den Potter-Freunden wissen, dass Harry ein Hitzkopf ist, jederzeit bereit, in den Krieg gegen Lord Voldemort zu ziehen und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen.

Aber nehmt verdammt nochmal meine ganze Geschichte zur Kenntnis. In dieser nämlich gibt es, wie ihr wissen müsstet, auch Albus Dumbledore. Und der habe stets daran geglaubt, dass die Kanäle der Kommunikation »immer offen bleiben« müssten, auch mit jenen, die einem ans Leben wollen. Am Ende ihrer Saga habe Harry Potter – den ihr liebt und angeblich so gut kennt – verstanden und geteilt.

Es war eine hübsche und unmissverständliche Retourkutsche, die Rowling da losgeschickt hatte: Eine Autorin verteidigte ihr Werk gegen Anhänger, die aus ihm eine Botschaft lasen, deren Überwindung sie beschrieben hatte. Aber selbstverständlich ist Rowlings Erwiderung keine Garantie dafür, dass die Israelboykotteure noch einmal über ihre Position nachdenken werden. Moralische Selbstgefälligkeit und die Gewissheit, recht zu haben, lassen sich durch Argumente leider nicht auflösen.

Außerdem hat man im Lager der Palästinenserfreunde seit jeher wenig Probleme damit, jeden noch so heiligen Text so auszulegen, dass er gegen Israel verwendet werden kann. So werden sich die Israelboykotteure von Rowlings höflichen und ausführlichen Auskünften darüber, wie sie Harry Potter ganz sicher nicht gemeint hat, nicht beirren lassen.

Pippi Langstrumpf Wer es geschafft hat, in Harry Potter einen Verbündeten im Kampf gegen Benjamin Netanjahu zu erkennen, würde es sicher auch zuwege bringen, Pippi Langstrumpf oder Arielle, die Meerjungfrau, bei seinem Kampf mitmarschieren zu lassen.

Manchmal wünscht man sich allerdings, die Feinde des jüdischen Staates würden auch solche Bücher zur Kenntnis nehmen, die für die Kinder jener verfasst werden, für die sie sich engagieren. Vielleicht würden ihnen dann die Augen ein wenig aufgehen.

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  08.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025