Unterm Strich

Shakespeare alias Schapper

Ein böhmischer Jude? Foto: Frank Albinus

Unterm Strich

Shakespeare alias Schapper

Kulturgeschichte kurios: Der englische Dichter soll Jude gewesen sein

von Michael Wuliger  13.02.2012 18:31 Uhr

Es gibt Leute, die den Hals nicht voll bekommen können. Ghislain Muller ist so einer. Dem französischen Amateur-Literaturwissenschaftler reichen die vielen großen jüdischen Schriftsteller, die es schon gibt (unter ihnen 12 Literaturnobelpreisträger) nicht. Muller will in den Kanon der jüdischen Literatur jetzt auch Englands Nationaldichter aufnehmen. Shakespeare était-il Juif? (»War Shakespeare Jude?«) heißt sein 2011 erschienenes Buch. Das Fragezeichen im Titel ist rein rhetorisch. Die Antwort lautet selbstverständlich Ja. Shakespeare war der Enkel eines 1515 nach England eingewanderten böhmischen Juden namens Schapper, schreibt Muller. Dieser Name sei typisch jüdisch, gehe auf die Stadt Speyer zurück und finde sich in zahlreichen Variationen wie Spier oder Schapiro.

namen Diese Beweisführung erinnert an Jacov Linds Roman Der Erfinder von 1988. Dort spekuliert ein Meschuggener, der sich für die Reinkarnation des falschen Messias Schabtai Zwi hält, über mögliche jüdische Wurzeln prominenter Politiker. Mao Zedong etwa habe in Wirklichkeit Mosche Zung geheißen, und Helmut Kohl sei ein Wahrheit ein geborener Henoch Kohn. (Letzteres kursiert bis heute als angebliche Tatsache auf Hunderten rechtsextremer Websites.)

Nun war Linds Roman allerdings eine Satire. Muller meint es dagegen ernst. Und eröffnet damit einen völlig neuen Zugang zur Kulturgeschichte. Jüdisch anmutende Namen – oder solche, die man mit etwas gutem Willen dafür halten kann – haben schließlich auch noch andere Größen der Künste. Der französische Maler Georges Braque etwa, ein Gründer des Kubismus. Klingt dessen Name nicht sehr nach Baruch? Auguste Rodin entpuppt sich als Rosen. Hinter Tolstoi könnte sich ein Tal Stein verbergen, Balzac ein Belzer sein. Bei Mozart klingt deutlich das hebräische Moser (Verräter) an, alternativ Mamzer für Bastard. Wo wir gerade bei den Komponisten sind: Übersetzen Sie mal Verdi. Heraus kommt Grün. Quod erat demonstrandum!

weiblich Auf entschiedenen Widerspruch wird Ghislain Mullers These allerdings bei seinem Hobby-Shakespeare-Forscherkollegen John Hudson stoßen. Der hat nämlich schon vor vier Jahren entdeckt, dass der Barde aus Stratford-on-Avon jüdisch war. Nicht nur das. Er war auch eine Frau: Amelia Bassano Lanier, Sefardin italienischer Herkunft.

Wer hat nun recht, Muller oder Hudson? Shakespeare alias Schapper alias Bassano Lanier selbst kann uns da nicht weiterhelfen. Wie jemand heißt, war dem großen Dichter ziemlich egal. In der Balkonszene von Romeo und Julia jedenfalls lässt er seine Heldin deklamieren: »Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.«

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann schwieg bislang zur scharfen Kritik. Doch jetzt reagiert die ARD-Journalistin auf die Vorwürfe

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025