Musik

Selbsthass und Saxofon

In Deutschland hat Gilad Atzmon noch kein Einreiseverbot. Wer will, kann also getrost Karten für die anstehenden Konzerte des Saxofonisten in der Frankfurter Brotfabrik am 16. April, der Freiburger Wodan-Halle am 21. April oder dem Berliner A-Trane am 28. April kaufen. Zu hören gibt es einen der großen Jazzer unserer Zeit. Mit im Gepäck hat Atzmon seine neue CD Songs of the Metropolis, ein Konzeptalbum, auf dem er mit seinem »Orient House Ensemble« neun verschiedenen Metropolen ein musikalisches Denkmal setzt: Paris wegen der Liebe, Buenos Aires wegen des Pathos oder Berlin wegen seiner Produktivität, wie Atzmon im Booklet erläutert.

Als Musiker ist Gilad Atzmon überzeugend. Regelmäßig nimmt er großartige Alben auf. Das neue steht in einer langen Reihe von wunderbaren CDs wie Exile (2003), Re-Arranging the 20th Century (2004) oder In Loving Memory Of America (2009). Selbst auf dem klamaukig gestylten Album Gilad Atzmon presents Artie Fishel and the Promised Band (2006) ist unüberhörbar ein Ausnahme-Saxofonist am Werk.

phobie Doch wie weiland bei Richard Wagner und den Juden koexistiert auch bei Gilad Atzmon genialische Musik mit einer extremen Phobie, in diesem Fall gegen den Zionismus. Dabei ist Gilad Atzmon selbst Israeli, 1963 in Jerusalem in eine jüdische Familie hineingeboren. Seit er voriges Jahr führende Vertreter der Hamas zum »Gedankenaustausch« getroffen hat, ist er in Israel allerdings persona non grata. Das offiziell verhängte Einreiseverbot redet der Musiker klein. Er lebe schließlich freiwillig im Londoner »Exil«.

Atzmon scheint an einer kuriosen Form jüdischen Selbsthasses zu leiden. In seinem neuesten Buch The Wandering Who? über israelische Identitätspolitik, liest man Wendungen wie »Holocaust-Religion« oder »Dem Geschäft mit dem Holocaust geht der Dampf aus«. Israel, so Gilad Atzmons Grundtenor, pflege das Gedenken an die Schoa, um Reibach damit zu machen. Parallel werde eine »Endlösung der Palästinenserfrage« betrieben.

hasspredigten Kaum eine Woche vergeht, in der Atzmon nicht in seinem Blog www.gilad.co.uk/writings Schmähschriften auf das »nationalistische«, »rassistische« und »faschistische« Israel veröffentlicht. In Heftigkeit und Duktus erinnern die Texte des Musikers an religiöse Hasspredigten. Sein Antizionismus kippt mittlerweile immer öfter in gewöhnlichen Judenhass um.

»Man braucht kein Genie zu sein«, heißt es beispielsweise in einem Text vom Februar, »um zu sehen, dass als Juden und Zionisten identifizierte Menschen oft überrepräsentiert sind, wenn etwas in der Welt heute schiefgeht. (...) Im Herzen der Finanzkrise finden wir jüdische Menschen und Finanzinstitutionen, die eindeutig jüdisch sind, wie etwa Lehman Brothers, Goldman Sachs, Alan Greenspan, Bernie Madoff und viele andere ...« Und weiter: »Man muss sich fragen, ob die jüdische Angst vor Antisemitismus tatsächlich gerechtfertigt ist, oder ob sie von einer ›Zerstörungsfantasie‹ getrieben ist.«

Gilad Atzmons Hass auf Israel – das sind inzwischen nicht mehr nur leise Misstöne, die sich in seine Musik mischen. Es ist eine Kakofonie, die so unangenehm wie unüberhörbar ist.

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024