Gespräch

»Seinem Vermächtnis verpflichtet«

Kanzler-Enkel Konrad Adenauer (75) neben einem Porträt seines Großvaters Foto: Constantin Graf von Hoensbroech.

Mit dem Luxemburger Abkommen begann im Jahr 1952 die Wiederannäherung zwischen Deutschland und Israel. Vor 60 Jahren trafen sich Bundeskanzler Konrad Adenauer und der damalige israelische Staatspräsident David Ben Gurion, und vor 55 Jahren nahmen die beiden Länder wieder diplomatische Beziehungen auf. Am 19. August 1965 wurden zum ersten Mal Botschafter ausgetauscht.

Konrad Adenauer (75), einer der Enkel des Bundeskanzlers, war bis zum Jahr 2015 als Notar in Köln bestellt. Neben zahlreichen Ehrenämtern und Mitgliedschaften in Vereinen engagiert er sich als Vorstandsmitglied in der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Bad Honnef-Rhöndorf.

Herr Adenauer, Sie waren Anfang März in Israel. Wie stellt sich Ihnen der aktuelle Stand der deutsch-israelischen Beziehungen dar?
Die Beziehungen sind in meinen Augen sehr gut und robust. Es darf ja nie vergessen werden, wo wir herkommen. Da ist es umso wunderbarer, dass wir nun nicht nur ein gutes, sondern ein freundschaftliches Verhältnis haben. Das habe ich auch wieder bei meinem Besuch im März, übrigens mein siebter Israelbesuch, erleben dürfen.

Freundschaft zwischen Deutschland und Israel – geht das nach dem Holocaust?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf einem sehr guten Wege sind. Gute Beziehungen zu Israel sind für Deutschland mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Natürlich gibt es diese Verpflichtung, die sich aus den schrecklichen Jahren des Nationalsozialismus ergibt. Doch es ist längst nicht mehr ein »Ich muss das tun«, sondern seit vielen Jahren ein innerer Antrieb, eine Anstandspflicht, die man wirklich gerne tut im Sinne von »Wir wollen das«. Und ich glaube, dass das von beiden Seiten so gesehen wird.

Gehen wir zurück an die Anfänge des deutsch-israelischen Verhältnisses. Ihr Großvater sagte 1951 im Deutschen Bundestag: »Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten.« Er verband diese Ankündigung mit der Zusage: »Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern.« Das stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung.
In der Tat. Überraschend ist dabei, dass meinem Großvater damals gerade aus der eigenen Partei sehr viel Widerspruch entgegengebracht worden ist. Die Gegner des Ausgleichs befürchteten, dass ein materieller und finanzieller Ausgleich mit Israel für unseren jungen Staat nur schwer verkraftbar sein und zu erheblichen Spannungen zwischen Deutschland und den arabischen Staaten führen würde. Die arabischen Staaten boykottierten damals Israel wirtschaftlich, und sie drohten, ihre Wirtschaftssanktionen auch auf Deutschland auszudehnen. Großvater setzte sei­nen Weg unbeirrt fort, weil er davon überzeugt war, dass ein solcher Ausgleich wesentlich für die angestrebte Westintegration der jungen Bundesrepublik sei, was sich ja dann einige Jahre später als richtig herausstellte.

Ihr Großvater wandte sich insbesondere an Nahum Goldmann, einen der führenden Wegbereiter der Staatsgründung Israels im Jahr 1948.
Ende 1951 bekräftigte Großvater seine Auffassung von der moralischen Wiedergutmachung Deutschlands in einem Brief an Nahum Goldmann. Dieser war der Gründer und langjährige Präsident des einflussreichen Jüdischen Weltkongresses. Nach einem persönlichen Zusammentreffen der beiden kam es dann ja auch dazu, dass Vertreter des Weltkongresses an den Verhandlungen beteiligt waren, die zum Luxemburger Abkommen geführt haben. Der Brief meines Großvaters an Goldmann gehört heute zum Archivbestand der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf. Dort, in Großvaters Wohnhaus, befindet sich zudem eine silberbeschlagene Tora, ein Geschenk von Nahum Goldmann mit Widmung.

Auch in Israel löste der angestrebte Ausgleich kontroverse Debatten aus.
Es gab erbitterte Auseinandersetzungen bis hin zu Straßenschlachten. Die Gegner eines deutsch-israelischen Abkommens sahen die Würde der Opfer des Holocaust schwer verletzt, weil sich in ihren Augen die deutschen Täter mit Geld von ihrer Schuld loskaufen wollten. Es gab sogar ein Briefbombenattentat auf einen deutschen Verhandlungsbeteiligten und ein Paketbombenattentat auf meinen Großvater. Es ist heute nachgewiesen, dass diese Attentate von der israelischen Untergrundorganisation Irgun veranlasst worden sind, deren Chef Menachem Begin war. Er wurde viele Jahre später Ministerpräsident Israels.

Die Verhandlungen zwischen Israel und Deutschland führten dann am 10. September 1952 zum Luxemburger Abkommen, mit dem die materiellen und finanziellen Wiedergutmachungsleistungen Deutschlands gegenüber Israel fixiert wurden. Welche Bedeutung kommt diesem Vertragswerk zu?
Ohne das Luxemburger Abkommen wäre es nicht zur Eröffnung der israelischen Handelsmission im Jahr 1953 in Köln sowie schließlich – gerade einmal 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – am 12. Mai 1965 zur Vereinbarung über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und zum einige Monate später erfolgten Botschafteraustausch gekommen. Dass Israel Deutschland als Verhandlungspartner akzeptierte, war ein starkes Zeichen. Und ich glaube auch, dass allein durch diese Verhandlungen einerseits, aber auch mit dem Abkommen andererseits die Beteiligung Deutschlands an anderen bedeutenden Verträgen der 50er-Jahre befördert wurde, also Montanunion 1951, Aufnahme Deutschlands in die NATO 1955 sowie Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit den Römischen Verträgen 1957.

Heute gehört das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson. Was heißt das konkret?
Dass man ein gemeinsames Verständnis von dem hat, was ein Staatswesen ausmacht – Freiheit, Gleichheit, sozialer Rechtsstaat. Und dass man sich gegenseitig verspricht, auf Basis solch grundlegender Überzeugungen den jeweiligen Staat zu festigen und weiterzuführen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das ja im Jahr 2008 bei ihrer Rede vor der Knesset betont, dass es zur deutschen Staatsräson gehöre, das Existenzrecht Israels zu schützen. Das hätte Großvater sehr gefallen.

Gilt dieser Schutz auch innerhalb Deutschlands? Stichwort Antisemitismus und antiisraelische Ressentiments …
Ich glaube, dass es natürlich auch innerhalb Deutschlands gilt, zu zeigen, dass wir zu Israel stehen, sich Israelis hierzulande willkommen fühlen und jüdische Gemeinden zugehörig und sicher fühlen können. Ich sehe die Debatte um den Antisemitismus allerdings nicht so pessimistisch. Es gibt Fälle, ganz klar. Und es gibt sicher auch Fälle, in denen man sich lieber wegduckt und das nicht wahrhaben will. Natürlich ist es traurig, dass jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen und beispielsweise vor der Synagoge hier in Köln rund um die Uhr ein Polizeiwagen stehen muss. Aber eine regelrechte Bewegung gegen Israel oder jüdische Einrichtungen oder gar eine Situation, die unser Verhältnis zu Israel belastet, kann ich nicht erkennen.

Wie haben Sie selbst die von Ihrem Großvater betriebenen Bemühungen um eine Annäherung zwischen Deutschland und Israel erlebt? Er war ja wenige Monate vor seinem Tod als 90-Jähriger 1966 in Israel.
Gerade diese Reise habe ich in besonderer Erinnerung. Großvater pflegte von seinen Reisen für seine Kinder und Enkel immer etwas mitzubringen. Dieses Mal war es ein schönes kleines Bildbändchen über Israel. Übrigens: Dieser Besuch verlief nicht nur harmonisch und zeigte, wie schwierig der Prozess der Annäherung weiterhin war. 1956 erhielt er zu seinem 80. Geburtstag von der israelischen Regierung ein besonderes Briefmarkenalbum geschenkt. Darin waren alle Briefmarken, die seit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 herausgekommen waren. Da ich Briefmarkensammler bin, habe ich dieses Buch dann später erhalten. In seiner Zeit als Bundeskanzler habe ich aber wenig von meinem Großvater als Großvater gehabt.

Und später?
Ich verfolgte natürlich mit Interesse seine Politik, sein öffentliches Wirken und Auftreten. Ich habe ihn in meiner Studentenzeit dann häufiger und näher erlebt, als er dann der ehemalige Bundeskanzler war. Wir konnten ihn nur selten in Rhöndorf besuchen. Aber bei seinem Namenstag, der ja im Rheinland bekanntlich sehr groß gefeiert wird, durfte ich dann immer dabei sein. Er war auch mein Patenonkel. Und natürlich fühle ich mich seinem politischen Vermächtnis verpflichtet und kümmere mich, so lange es geht, um die Wahrung dieses Familienerbes.

Ihr Großvater hatte als Kölner und ehemaliger Kölner Oberbürgermeister stets auch eine besondere Beziehung zur dortigen Jüdischen Gemeinde, der urkundlich nachweisbar ältesten jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen. Haben Sie auch Beziehungen zur Synagogen-Gemeinde?
Ich bin häufig in der Synagogen-Gemeinde gewesen und pflege einen sehr engen und regen Austausch mit den Verantwortlichen sowie Gemeindemitgliedern. Zudem freue ich mich sehr auf das Jubiläum im nächsten Jahr, wenn sich die Erwähnung der Kölner Gemeinde zum 1700. Mal jährt. Das Judentum gehört zu Köln und zu Deutschland. Das war eine Selbstverständlichkeit für Großvater. Und das ist es für mich auch. Im vergangenen Jahr, als der 60. Jahrestag des Wiederaufbaus der Synagoge gefeiert wurde, traf ich am Rande der Feierlichkeiten auf Ernst Goldschmidt. Er ist der Enkel des Architekten Helmut Goldschmidt, der nach dem Krieg mit Unterstützung meines Großvaters die Synagoge als Architekt wiederaufgebaut hat. Das war eine sehr schöne Begegnung der Enkel, deren Großväter vor rund 60 Jahren bei der feierlichen Wiedereröffnung zusammensaßen.

Haben Sie auch Kontakte zu Nachkommen von David Ben Gurion, dem ersten Staatspräsidenten Israels? Vor 60 Jahren gab es ja die historische Begegnung mit Ihrem Großvater.
Das war 1960 im Hotel Waldorf Astoria in New York. Es gibt ja diese legendären Bilder von den beiden bereits betagten Herren, die sich sehr freundlich gegenübersitzen. Ben Gurion legt auf einem Bild sogar geradezu fürsorglich seine Hand auf die meines Großvaters. Dieses Bild ging damals um die Welt, und ich glaube, dass man durchaus sagen kann, dass die Bilder dieser Begegnung symbolhaft für den Weg der Aussöhnung bis hin zur Freundschaft zwischen Deutschland und Israel stehen. Daran musste ich jetzt auch bei meinem Israelbesuch Anfang März denken. Dort traf ich in Tel Aviv im Hause von Ben Gurion mit zwei seiner Enkel zusammen – das war für uns alle sehr bewegend. Einen anderen Enkel traf ich 2005 in Sankt Augustin bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Das Gespräch führten Constantin und Ulrike von Hoensbroech.

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