Kulturkolumne

Sehnsucht nach Youkali

Der Komponist Kurt Weill Foto: picture alliance / ullstein bild - ullstein bild

Kulturkolumne

Sehnsucht nach Youkali

Über einen Sommerabend mit Kurt Weill

von Sophie Albers Ben Chamo  14.08.2025 14:11 Uhr

Ein Sommerabend in einer Gründerzeit-Villa in Berlin-Steglitz. Zwei Sängerinnen, eine Pianistin und die Musik von Kurt Weill. Mit liebevollem Minimalismus und angstloser Improvisation will das »Im Frauenland Ensemble« Bertolt Brechts musikalischen Ermöglicher »ins Licht« bringen, verspricht der Titel des Konzerts. Und während man das Berliner »Anything goes« auf sichere Distanz über sich ergehen lässt, bricht Weills Musik die Kruste des Zynismus auf, mit jedem Lied mehr. Natürlich »Die Moritat von Mackie Messer« und »Die Seeräuber- Jenny«, natürlich ein musikalisches Auf-dem-Vulkan-Tanzen am Vorabend des Nazi-Schlachtfests in Europa.

Doch bei der Ballade »Und was bekam des Soldaten Weib?« kracht gleich die Hälfte des Selbstschutzpanzers in sich zusammen. Bei »Youkali« ist es dann ganz vorbei, da bleibt nur schweres Schlucken. Und natürlich wird das wohl verletzlichste Stück aus Weills Feder auch noch als Zugabe gegeben. »Youkali, wo unser Land der Sehnsucht liegt / Youkali, wo nie der Quell des Glücks versiegt / Youkali, ist da, wo alle unsre Sorgen vergeh’n / ist, wenn in der Nacht ein Licht Hoffnung macht / der leuchtende Stern ist Youkali!«

Vor dem deutschen Rassenwahn aus Berlin nach Paris geflohen

Kurt Weill hat es 1934 geschrieben, nachdem er gerade vor dem deutschen Rassenwahn aus Berlin nach Paris geflohen war, und auch wenn dieser Tango Habanera aus der gefloppten Operette Marie Galante den Herzschmerz einer Frau besänftigen soll, so liegt darin doch vor allem die verzweifelte Hoffnung auf den sicheren Ort in unsicherer Zeit.

Das ist der Moment, wenn im Kopf der hauseigene Filmprojektor anspringt und man im Geiste weitersingt: »Ein Land ist mein, wird meine Heimat sein / ein Land, das hab ich nie gesehen …«

Ernest Gold, auch so ein musikalisches Genie, hatte den Song 1960 für Otto Premingers Monumentalfilm Exodus geschrieben, dreieinhalb Stunden über das Jahr vor der Entstehung des Staates Israel – voller Kampf, Überleben, Liebe und Hoffnung. Plötzlich hört sich die Hollywoodhymne an wie die Realisierung von »Youkali«: »Von dem die Mutter singt, von dem die Sage klingt, dass dort Not und Leid in Ewigkeit vergeh’n.«

Aus Europa entkommen

Weill konnte schließlich aus Europa entkommen. 1935 floh er aus Paris über London in die USA. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs besuchte er im Frühjahr 1947 seine Eltern Emma und Albert Weill im Britischen Mandatsgebiet Palästina, die Nazideutschland 1935 verlassen und in Nahariya ein neues Zuhause gefunden hatten.

Während des Aufenthalts brachte ein Freund ihn mit Chaim Weizmann zusammen, der bald Israels erster Präsident werden sollte. Und der wiederum gab dem Ausnahmekomponisten die Anregung, eine Orchesterversion für die spätere Nationalhymne »Hatikwa« zu schaffen: »Die Hoffnung, 2000 Jahre alt, zu sein ein freies Volk, in unserem Land.«

Weill hat das reale Youkali nie betreten. Er starb zwei Jahre nach der Staatsgründung mit nur 50 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts in New York. Aber so haben drei Frauen an einem Sommerabend in Berlin Kurt Weill tatsächlich ins Licht gebracht.

Gerade jetzt, da wir uns wieder nach einem Youkali sehnen.

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