Wuligers Woche

Schwacher Staat, starke Tür

Die Tür zur Jüdischen Gemeinde Halle Foto: dpa

Kurt Tucholsky hat einmal den »Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« der Weimarer Republik spöttisch einen »Centralverein deutscher Staatsjuden bürgerlichen Glaubens« ge­nannt.

Die Obrigkeitsfixierung der assi­mi­lierten Israeliten fiel nicht nur ihm auf. Auch Hannah Arendt hat einige Bemerkungen zu der illusorisch-verzweifelten Hoffnung der deutschen Juden auf Recht und Gesetz in der zerfallenden ersten Demokratie gemacht.

Tradition Das hatte Tradition. Durch die Geschichte der Diaspora zog sich die vermeintliche Erfahrung, dass auf die Herrschenden mehr Verlass sei als auf die Nachbarn. Die Willkür von Fürsten, Bischöfen und Königen schien ein kleineres Übel als die gewalttätigen Ausbrüche des Mobs.

Auch in der Bundesrepublik hat die kleine jüdische Minderheit von Anfang an auf den Schutz durch die Regierung gesetzt, bei Staatsverträgen angefangen bis zu Polizei vor Synagogen.

Wer schwach ist, braucht einen starken Partner. Nur wachsen seit geraumer Zeit immer mehr Zweifel an diesem Partner. Exekutive und Judikative erweisen sich seit Jahrzehnten unfähig bis unwillig, gegen antisemitische Gewalt wirkungsvoll vorzugehen, wie Ronen Steinke in seinem jüngst erschienenen Buch Terror gegen Juden erschreckend eindrucksvoll dokumentiert.

Halle Es war die Synagogentür in Halle, die im Oktober 2019 ein Massaker verhinderte, nicht die Polizei. Bei der Schreiner­innung ist unsere Sicherheit offenbar besser aufgehoben als bei den Sicherheitsbehörden.

Wirklich Angst aber macht, dass dieser Staat inzwischen nicht einmal mehr die Kraft zu haben scheint, sich gegen seine eigenen Feinde zu verteidigen. Ungestraft kann im Netz und auf Demonstrationen zu Gewalt gegen Politiker bis hin zur Kanzlerin aufgerufen werden. Die Polizei schaut zu. Und es bleibt nicht bei Aufrufen.

Vor 14 Monaten wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke getötet. Die Reaktion des Staates auf den Mord an einem seiner Spitzenbeamten war mau. Statt durchzugreifen, spulte man Entsetzensbekundungen ab, gefolgt von »business as usual«.

Autorität sieht anders aus. Für die gewaltbereite extreme Rechte kommt das einer Einladung gleich, weiterzumachen und noch zuzulegen. Was sie auch tut. Und im Visier hat sie dabei nicht zuletzt uns. Davor bräuchten Deutschlands Juden Schutz. Aber wie sollen sie den von einem Staat erwarten können, der sich nicht einmal selbst schützen kann?

Nazis Wenn, wie beim Aufmarsch der Corona-Querdenker in Berlin vergangenes Wochenende, die Polizei kaum in der Lage ist, das Parlament vor einer Horde Nazis abzuschirmen, wie effektiv wird sie wohl die Sicherheit jüdischer Einrichtungen garantieren können?

Der Staat in Deutschland 2020 ist schwach. Den Preis für seine Schwäche zahlen am Ende diejenigen, die im Wortsinn existenziell auf ihn angewiesen wären. Statt auf diesen Staat vertrauen inzwischen wahrscheinlich mehr Juden lieber auf Gott – die Atheisten eingeschlossen.

Klassik

Daniel Barenboim ist zurück

Orchester der Barenboim-Said Akademie gibt Debüt

 22.03.2023

arte

TV-Tipp: »Der Pantomime Marcel Marceau«

Er war ein Künstler, der Unsagbares ohne Worte vermittelte. Zu seinem heutigen 100. Geburtstag wird nun eine ganz besondere Doku ausgestrahlt

von Ulrike Cordes  22.03.2023

Serien

Wie alles begann: »Shtisel« bekommt ein Prequel

»Kugel« ist eine Zeitreise zu den Anfängen von Nukhem, dem jüngeren Bruder von Shulem Shtisel, und Nukhems Tochter Libbi

von Imanuel Marcus  22.03.2023

"National Medal of Arts"

Julia Louis-Dreyfus von Joe Biden geehrt

Die legendäre jüdische Komikerin wurde unter anderem durch »Seinfeld« und »Veep« bekannt

 22.03.2023

Berlin

Ausstellung zu Fotografie im Holocaust

Die Fotos wurden aus den USA, Europa und Israel zusammengetragen

 22.03.2023

Pantomime

»Schauspieler der Stille«

Marcel Marceau wurde heute vor 100 Jahren geboren

von Barbara Just  22.03.2023

Porträt

Geschichte zurückgeben

Floriane Azoulay ist Direktorin der Arolsen Archives – sie hilft Schoa-Überlebenden und deren Nachkommen, Familienschicksale zu erforschen

von Anja Bochtler  21.03.2023

Jubiläum

»Wir haben uns der Diversität verschrieben«

Sonja Lahnstein-Kandel über 50 Jahre Universität Haifa, den Deutschen Fördererkreis und Chancengleichheit

von Lilly Wolter  21.03.2023

Musik

Das letzte Einhorn?

Popstar Noa Kirel tritt mit »Unicorn« für Israel beim Eurovision Song Contest an

von Sophie Albers Ben Chamo  21.03.2023