Bühne

»Schtetl-Klamauk«

Warschaus Jüdisches Theater in der Kritik

von Gabriele Lesser  23.08.2010 13:43 Uhr

Warschaus Jüdisches Theater zeigt vor allem olle jiddische Kamellen wie An-Skis »Dybbuk«. Foto: Promo

Warschaus Jüdisches Theater in der Kritik

von Gabriele Lesser  23.08.2010 13:43 Uhr

Polens Theaterkritiker machen normalerweise einen weiten Bogen um das Jüdische Theater in Warschau. Zwar kursieren schon seit Jahren vernichtende Besprechungen über den »Folklore-Schund« dort, doch kaum jemand veröffentlichte sie in einer angesehenen Zeitung oder einem Theaterfachblatt. Niemand wollte sich dem Risiko aussetzen, womöglich als Antisemit gebrandmarkt zu werden oder als Neider innerhalb der kleinen jüdischen Gemeinschaft Polens zu gelten. Nun aber hat Joanna Derkaczew, eine der renommiertesten Theaterkritikerinnen des Landes, das heikle Thema in Polens größter Tageszeitung Gazeta Wyborcza angepackt. »Der Niedergang des Jüdischen« hieß ihr Artikel. Nicht nur die Zuschauer und Kritiker fänden kaum ein positives Wort über den sentimentalen Schtetl-Klamauk, schrieb sie. Selbst die Schauspieler kritisierten ihr eigenes Haus als »furchtbares Museum«. Die einzige nach der Schoa verbliebene jiddischsprachige Bühne in Polen sei zum »Theater einer Familie, eines Liedes, eines angeklebten Bartes und eines unerträglichen Stils« heruntergekommen.

familienbetrieb Seit 1969 leiten Szymon Szurmej und seine Frau Golda Tencer das Teatr Zydowski. Dessen Gründerin Ida Kaminska war ein Jahr davor wegen der damaligen antisemitischen Hetzkampagne nach Israel und später in die USA emigriert. Mit ihr ging fast das gesamte Ensemble. Die herrschenden Kommunisten beschlossen, die Bühne weiter bestehen zu lassen – als eine Art Alibi. Weil es kaum mehr Darsteller gab, die das Jiddische noch als Muttersprache beherrschten, wurden in einer theatereigenen Schule nichtjüdische junge Schauspieladepten in der Sprache unterwiesen. Allerdings für ein Publikum, das kein Jiddisch verstand und die Aufführungen per Kopfhörer verfolgen musste. Die monoton vorgetragenen Übersetzungen schreckten die letzten Zuschauer ab. Nach der Wende 1989 begann das Theater dann, jiddische Folklore-Stücke in polnischer Sprache aufzuführen.

Jüdische Hochkultur finde derweil auf anderen Bühnen in Polen statt, schreibt Derkaczew. »Niemand erwartet, dass das Theater jungen Künstlern die Bühne öffnet, um ein Avantgarde-Stück wie die Seifenblase von Eytan Fox über homoerotische Liebe vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts aufzuführen.« Das hatte vor einigen Wochen das berühme »Dramatische Theater« gewagt. »Aber warum finden sich im Repertoire keine zeitgenössischen Dramen, wie etwa die des Israelis Hanoch Levin?« Dessen Stück Krum habe im Alten Theater in Krakau und dem Teatr Rozmaitosci in Warschau Triumphe gefeiert.

Vielleicht bläst demnächst ein frischer Wind durch das Teatr Zydowski. Der inzwischen 87-jährige Intendant Szymon Szurmej geht bald in den Ruhestand. Zuschauer und Kritiker wünschen sich einen radikalen Neuanfang. Die Schauspieler fordern ihn geradezu: »Wir brauchen einen neuen Intendanten!«

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert