Meinung

Schlechte Wahl

Aufgrund von Protesten wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) den Namen Mohrenstraße in Glinkastraße umbenennen. Foto: imago

Liebe BVG,

warum heißt die Glinkastraße Glinkastraße? Und warum soll der Berliner U-Bahnhof »Mohrenstraße« ausgerechnet in »Glinkastraße« umbenannt werden?

Vermutlich, weil der Komponist 1857 hier um die Ecke, Französische Straße 8, gestorben ist und den DDR-Straßen-Benennern 1951 (auf das andere »Väterchen« schielend) ein »Vater der russischen Musik« gut in die Parteilinie gepasst hat.

ANTISEMITISCH Schließlich war Michail Glinka mit seiner vor russischem Nationalismus triefenden Oper »Iwan Sussanin« (auf Wunsch Nikolaus I. »Ein Leben für den Zaren« betitelt), dem reichlich antisemitischen Heldenepos »Fürst Cholmskij« und der Oper »Ruslan und Ludmilla« in Russland stilprägend und Vorbild für das (tatsächlich musikalisch wichtigere) »mächtige Häuflein«, bestehend aus Balakirew, Borodin, Cui, Mussorgski und Rimski-Korsakow, die wie Glinka gegen den musikalischen »Akademismus« des Westens ankämpften, westliche Elemente verbannen und eine »russischere« Musik schaffen wollten.

Rubinstein war für Glinka ein »frecher Zhid« und wurde von ihm als »zu deutsch« und »zu jüdisch« attackiert.

Dazu gehörte im Übrigen das Verdammen »jüdischer Elemente« (auch wenn Glinka & Co. selbst »hebräische Melodien« komponierten – die biblischen Hebräer waren das eine – nämlich »Jewrej«–, die Diasporajuden aus der Straße nebenan das andere – »Zhidy« – und die mochte man nicht), denn die hatten »nichts gemein mit unserem Nationalcharakter und unserer Kunst«.

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Und so war der Pianist Anton Rubinstein für Glinka auch ein »frecher Zhid« und wurde von ihm und den anderen Anwälten der neuen russischen Musik wie den oben genannten Herren Balakirew und Mussorgski als »zu deutsch« und »zu jüdisch« attackiert, die Russische Musikalische Gesellschaft, die Rubinstein gegründet hatte als »Zhid-Musikverein« und sein Konservatorium in Petersburg als »Piano-Synagoge« diffamiert.

PATHOS Wie auch immer, Glinka, der sein Geld ursprünglich als Untersekretär im Verkehrsministerium verdient hatte und viele Reisen unternahm, bei denen er nicht nur Volkslieder, sondern unter anderem Bellini, Donizetti, Mendelssohn Bartholdy, Chopin und Berlioz kennenlernte und studierte (was man seiner Musik deutlich anhört), wurde also zum »Vater der russischen Musik«, auch weil in seinen Stücken erstmals einfache Leute die Helden waren und weil mit Patriotismus, Vaterlandsliebe und Opferbereitschaft verbundene Themen genauso gut ankamen wie romantischer Pathos und volkstümliche, einlullende Klänge. So wurden Glinkas folkloristische »slawophile« Opern auch von allen russischen Machthabern politisch genutzt.

Unter Stalin wurde aus dem »Leben für den Zaren« 1930 ein »Für Hammer und Sichel«, einschließlich Textänderungen wie dieser von Sergej Gorodetzki: »Die Erde gibt dem Weizen Saft – das Volk gibt den Soldaten Kraft! – gern arbeiten wir Mädchen am Webstuhl und weben Stoff für unsere Armee – ohne Murren arbeiten wir für unsere Truppen – gerne geben wir selbst das Leben für unsere lieben Soldaten!«

Warum benennt Ihr den Bahnhof nicht nach Martin Dibobe, den von 1902 bis 1919 erste Berliner Zugführer afrikanischer Herkunft?

Der Text war bis 1989 verbindlich und das Jubelfinale (ohne Text) auf Ansage von Boris Jelzin unter dem Titel »Patriotisches Lied« von 1990 bis 2000 die russische Nationalhymne ...

VORSCHLAG Doch zurück zur »Glinkastraße«. 1856 war Michail Glinka also in Berlin, um die Studien bei seinem alten Lehrer Siegfried Dehn wieder aufzunehmen. Nach einem Hofkonzert im Januar 1857, bei dem Giacomo Meyerbeer einen Ausschnitt aus »Ein Leben für den Zaren« dirigiert hatte, erkältete sich Glinka so heftig, dass er drei Wochen später starb und auf dem Berliner Dreifaltigkeitsfriedhof beigesetzt, aber ein paar Monate später exhumiert und nach Sankt Petersburg überführt wurde.

Ich finde es schade, dass sich die BVG nicht einen anderen für ihre Bahnhofsumbenennung ausgesucht hat – Martin Dibobe zum Beispiel, der von 1902 bis 1919 der erste Berliner Zugführer afrikanischer Herkunft war.

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