Cannes

Schlechte Menschen und die Frage der guten Kinohelden

Jonathan Glazer in Cannes Foto: picture alliance / ATP photo agency

Es ist ein Porträt der Schlechtigkeit des Menschen ganz anderer Art: Jonathan Glazers Auschwitz-Drama »Zone of Interest«. Der britische Regisseur steigt mit seinem lose auf Martin Amis gleichnamigen Roman beruhenden Film zum absoluten Favoriten auf die Goldene Palme auf.

Glazers Film beginnt mit idyllischen Aufnahmen einer badenden Familie an einem Fluss. Frisuren und Kleidung zeigen an, dass man sich in den 40er Jahren befindet, es wird deutsch gesprochen. Und dann sieht man, gleich hinter der schönen Villa der Familie, den berüchtigten Wachturm von Auschwitz, dazu Mauer und Stacheldraht des Konzentrationslagers. Doch der Blick der Kamera bleibt konzentriert auf das bürgerliche Idyll von Rudolf und Hedwig Höß, die ihre fünf Kinder in diesem »Paradies«, wie die zu Besuch kommende Schwiegermutter es bezeichnet, aufwachsen lassen.

»Hintergrundlärm« Sandra Hüller verkörpert diese Hedwig Höß als biedere, leicht grobe Hausfrau, die ihr Leben mit Angestellten und gelegentlichen Paketen von nebenan zu genießen weiß. Woher der Pelzmantel stammt, den sie da auspackt, blendet sie genauso aus, wie den »Hintergrundlärm« aus Schüssen und Schreien von jenseits des Zauns.

Christian Friedel spielt den berüchtigten KZ-Kommandeur Rudolf Höß mit ähnlich gleichgültiger Nonchalance als den ganz auf seine Sekundärtugenden der Pflichterfüllung konzentrierten Funktionär des Todes.

Mit kalter Präzision führt Glazer vor Augen, was Kompartmentalisierung heißt, um sie an kleinen, bewussten Stellen aufzubrechen. Hedwig, die fast wahnhaft ausblenden kann, droht einer Angestellten mal durchaus kundig damit, die Asche ihrer Angehörigen verstreuen zu lassen. Als Rudolf beim Flussbaden auf ein Gebein stößt, muss hinterher aufwendig Desinfektion betrieben werden.

Der inzwischen fast banalen These von der Alltäglichkeit des absolut Bösen, dass auch Massenmörder liebende Familienväter waren, stellt Glazer mit seinem eiskalten Blick etwas entgegen. Vor allem auch dank einer herausragenden Filmmusik von Mica Levi sorgt »The Zone of Interest« für eine nachhaltige Irritation und Verstörung.

Zahl der Woche

8. Platz

Fun Facts und Wissenswertes

 18.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Juni bis zum 26. Juni

 18.06.2025

Berlin

Erste Ausstellung über den Architekten Ossip Klarwein

Präsentiert werden mehr als 100 Entwürfe und Modelle, darunter ikonische Bauten des 1933 nach Palästina geflohenen jüdischen Architekten

 17.06.2025

Nachruf

Chronist einer ganzen Epoche

Michel Bergmann war ein Schriftsteller, der viele Genres beherrschte

von Ellen Presser  17.06.2025

Los Angeles

Neues Album von Haim: »Manchmal muss man loslassen«

Auf ihrem vierten Album singen die Haim-Schwestern von Trennung, Abschied und Neuanfang. Dabei betritt das Trio mit beinahe jedem Song ein anderes musikalisches Terrain

von Philip Dethlefs  17.06.2025

Diskurs

»Die Erinnerungsrepublik Deutschland ist zu Ende«

Auszüge aus der Heidelberger Hochschulrede des Grünen-Politikers Sergey Lagodinsky

 16.06.2025

Literatur

Michel Bergmann ist tot

Der jüdische Schriftsteller starb im Alter von 80 Jahren

 17.06.2025 Aktualisiert

Taormina Film Fest

Michael Douglas entschuldigt sich für Politik der US-Regierung

Der Darsteller erhält von Iris Knobloch eine Ehrung für sein Lebenswerk. Die Vergabezeremonie in Sizilien nutzt er für Kritik an seinem Land

 16.06.2025

Fernsehen

Luftraum in Israel gesperrt: »Fernsehgarten« ohne Kiewel

Die Moderatorin lebt in Tel Aviv - doch zu ihrer Jubiläumssendung konnte sie nicht anreisen

 15.06.2025