Interview

»Schielen auf Muslime als potenzielle Wähler«

»Die Islamverbände in Deutschland sind eindeutig ein Teil des Problems«: die Islamforscherin Susanne Schröter Foto: imago/Future Image

Frau Schröter, das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam hat dieser Tage eine Konferenz zum Thema »Antisemitismus in der islamischen Welt und in Deutschland« ausgerichtet. Wieso gerade jetzt?
Eine solche Veranstaltung stand schon seit Jahren bei uns auf der Agenda. Nur hatten wir die Befürchtung, dass das Ganze sofort wieder als »antimuslimischer Rassismus« ausgelegt wird und man uns »Islamophobie« vorwirft. Deshalb waren wir zögerlich. Dann aber geschah der 7. Oktober, und es war klar: Jetzt müssen wir dazu etwas machen.

Was genau?
Selbstverständlich stellt der Antisemitismus von rechtsaußen sowie jener aus der Mitte der Gesellschaft ganz reale Gefahren dar. Es gibt aber eben auch die islamischen und linken Spielarten des Judenhasses. Doch dabei handelt es sich um die blinden Flecke in der Antisemitismusforschung. Genau diese wollten wir nun benennen.

Worum ging es konkret bei dieser Veranstaltung?
Sie richtete sich an ein breites Publikum, weshalb am Anfang Grundsätzliches über Israel und die Entstehung des Nahost-Konflikts zur Sprache kam. Es ging beispielsweise um Antizionismus und was sich hinter diesem Begriff alles verbirgt, aber auch um die antisemitische Ideologie der Muslimbruderschaft, der geistigen Ziehväter der Hamas, und die Judenfeindschaft, wie sie sich an bestimmten Stellen im Koran manifestiert.

Wie ist es um die Islamverbände hierzulande bestellt? Eignen sich diese überhaupt als Kooperationspartner bei der Bekämpfung des islamischen Antisemitismus – oder sind sie nicht eher Teil des Problems?
Die Islamverbände in Deutschland sind eindeutig ein Teil des Problems. Nicht zuletzt deshalb, weil sie finanziell am Tropf von Staaten wie der Türkei oder dem Iran hängen und ideologisch oftmals der Muslimbruderschaft nahestehen. Ein gutes Beispiel dafür sind die DITIB-Moscheen, die wiederum der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt sind. Deren Chef Ali Erbas nannte Israel kürzlich einen »rostigen Dolch im Herzen der muslimischen Welt«. Präsident Erdoğan selbst wirft Israel »Staatsterrorismus« vor. Quasi in Endlosschleife werden solche Sätze wiederholt, auch in den Moscheen hierzulande.

Was sollte sich im Umgang mit den Islamverbänden in Deutschland Ihrer Meinung nach ändern?
Die Politik sollte keine Gespräche mehr mit ihnen führen. Immer wieder hatte man in der Vergangenheit gefordert, dass sich die Islamverbände von ihrem radikalen Gepäck befreien. Als Gegenleistung gab es Angebote der Förderung und den privilegierten Zugang zur Politik. Doch wirklich geschehen ist nichts, und zwar entweder aus Angst, seine Geldgeber zu verlieren oder sich von der eigenen Community zu entfremden. Selbst von den Massakern des 7. Oktober wollte man sich nicht eindeutig distanzieren.

Es gibt einen Antisemitismus, der in progressiven Milieus beheimatet ist, und einen stark islamisch geprägten, der eher bei religiösen Fundamentalisten oder Konservativen zu finden ist. Warum agieren diese beiden doch sehr unterschiedlichen Gruppen gemeinsam, wenn es um Israel geht?
Allianzen zwischen progressiven Gruppen und den Palästinensern haben eine lange Tradition. Bereits seit dem Ende der 60er-Jahre gab es dieses Phänomen. Offensichtlich funktioniert das auch dann, wenn es sich um Islamisten handelt, obwohl beide Gruppen völlig unterschiedliche Zukunftsmodelle und Normen propagieren. Die Feindschaft gegen Israel ist da wohl Kitt, der alle zusammenschweißt.

Alle politisch Verantwortlichen zeigten sich völlig überrascht von der Offenheit, wie Antisemitismus auf deutschen Straßen nach dem 7. Oktober zum Ausdruck kam. Woran liegt das? War man einfach nur naiv?
Über Demonstrationen, auf denen Muslime antisemitische Parolen skandierten, konnte man ja auch schon lange vor dem 7. Oktober lesen. Nur gab es immer ein aktives Wegsehen und Dulden. Sobald Maßnahmen diskutiert wurden, hieß es schnell, man würde pauschalisieren und einen Generalverdacht gegen Muslime aussprechen. Allenfalls gab es Fördermittel für Initiativen mit einer eher unspezifischen Agenda gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit, die den islamischen Antisemitismus aber so gut wie immer ausklammerten. Man wollte niemandem auf die Füße treten.

Wie erklären Sie sich die Defizite hierzulande, wenn das Thema islamischer Antisemitismus angesprochen wird?
Einerseits muss man gravierende Defizite im Wissen zum Thema zur Kenntnis nehmen. Andererseits spielt auch eine gewisse Naivität eine Rolle, vor allem, wenn es um einige Aspekte der Migration geht. Die Politik scheint zu glauben, eine multikulturelle Gesellschaft entwickelt sich von selbst, weshalb nie etwas geschah. Auch gibt es mittlerweile ein Schielen auf Muslime als potenzielle Wähler, mit denen man es sich nicht verscherzen möchte, was aber genau dann passiert, wenn real existierende Probleme wie islamischer Antisemitismus konkret angesprochen werden.

Sie selbst werden ja oftmals persönlich angefeindet, immer wieder werden Forderungen laut, das Forschungszentrum Globaler Islam zu schließen. Inwieweit möchte man davon auch nichts hören?
Bei bestimmten Themen wird der Rassismusvorwurf sehr schnell in Stellung gebracht. Das geschieht fast schon automatisch, sobald man nicht der binären wie auch schlichten Unterteilung der Welt in »böse« Weiße und »gute« sowie »stets marginalisierte« Menschen aus dem Globalen Süden Folge leistet. Das wird dann auch schnell persönlich. Man wird nicht mehr zu Veranstaltungen eingeladen, und es kommen Forderungen nach der Streichung von Mitteln.

Wie wirkt sich das aus?
Das dient definitiv dem Ziel der Abschreckung. Andere, die womöglich ähnlich denken, sollen so zum Schweigen gebracht werden. Ansonsten laufen sie gleichfalls schnell in Gefahr, Ziel einer Kampagne zu sein, und das will ja keiner.

Mit der Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) sprach Ralf Balke.

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