Volker Weidermann, ehemaliger Moderator der von Marcel Reich-Ranicki ins Leben gerufenen Sendung »Das Literarisches Quartett«, hat die Einladung der umstrittenen österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart in die Sendung scharf kritisiert. In einem Debattenbeitrag für das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« schrieb Weidermann, Eckharts Teilnahme an der ZDF-Sendung sei angesichts ihrer »antisemitischen Witzchen« unwürdig.
Reich-Ranicki habe sich zwar zum Thema Antisemitismus nie geäußert. Er, der nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekommen sei, »mit dieser Liebe zur deutschen Literatur«, habe vielmehr gehofft, so Weidermann, »dass jetzt andere für ihn sprechen werden, wenn es um Antisemitismus geht. Dass jetzt nichtjüdische Deutsche für ihn sprechen würden, ihn verteidigen. Das Notwendige sagen. Oft wurde er nicht enttäuscht. Manchmal schon.«
»Marcel Reich-Ranicki hat uns diese Sendung als Erbe und als Schatz hinterlassen. Um sie zu bewahren, fortzuschreiben. Nicht zu zerstören.«
»Spiegel«-Redakteur Volker Weidermann
Reich-Ranicki habe am eigenen Leib erlebt, »wie schnell aus antisemitischen Witzchen antisemitische Angriffe wurden und wie schnell das ging, dass plötzlich, im Oktober 1938, in seiner Wohnung in Berlin-Wilmersdorf morgens in aller Frühe ein Polizist klingelte und ihm mitteilte, dass er nun mitkommen und das Land verlassen müsse«.
NACHFOLGER Weidermann war einst Feuilleton-Chef der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, seit 2015 ist der Bestsellerautor Redakteur beim »Spiegel«. Von 2015 bis 2019 moderierte der Journalist und Kritiker das »Literarische Quartett« im ZDF.
1988 war das Format von Reich-Ranicki begründet worden und wurde später zu einer der beliebtesten Kultursendungen im deutschen Fernsehen. 2001 gab Reich-Ranicki die Leitung der Sendung ab. Seit März 2020 wird das Quartett von Thea Dorn moderiert.
Die Einladung an die Kabarettistin Eckhart habe er, so Volker Weidermann, eigentlich nicht weiter kommentieren wollen. »Ich war gut vier Jahre lang Gastgeber der Sendung. Jetzt bin ich es nicht mehr. Ich habe den Nachfolgern da nichts zu raten, dachte ich bislang.«
Die Sendung sei ein »unverdientes Geschenk« des Schoa-Überlebenden Reich-Ranicki an die nichtjüdischen Deutschen gewesen, so Weidermann. »Schon seine Rückkehr nach Deutschland war ein Geschenk. Ein unverdientes.« Der Literaturkritiker sei »das dünne Band« gewesen, »dass das Deutschland der Nachkriegszeit mit der deutsch-jüdischen Kultur der Weimarer Republik verband.«
ERBE Reich-Ranicki habe den Deutschen aber nie »verziehen«, schrieb Weidermann weiter, dazu sei er »von seinen ermordeten Eltern, von seinem ermordeten Bruder nicht berechtigt worden. Er sei vielmehr »aus Liebe zu den deutschen Büchern« und zur deutschen Kultur ins Land der Täter zurückgekehrt. Das »Literarische Quartett« sei das Erbe und der Schatz Reich-Ranickis, den es zu bewahren gelte.
Der Gastauftritt Eckharts war zuvor vom Schriftsteller Maxim Biller massiv kritisiert worden. In der »Süddeutschen Zeitung« schrieb Biller, wenn die 28-jährige Österreicherin »mit ihrer sehr, sehr blonden HJ-Frisur, mit ihrem Nazi-Domina-Look und ihrem herablassenden, nasalen Offiziersmessen-Ton« auftrete, dann habe »der deutsche Jude und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki endgültig den Kampf gegen die Nazis verloren«.
Bei Eckharts Auftritt in der am 4. Dezember ausgestrahlten Sendung war der Antisemitismus dann allerdings kein Thema. Eckhart hatte zuvor mehrfach in ihrem Bühnenprogramm mit Anspielungen auf Juden für Kontroversen gesorgt. Ihr wurde vorgeworfen, gezielt antisemitische Klischees zu bedienen. Die Österreicherin wies im August 2020 die Anschuldigungen zurück und sagte, es gebe »teilweise ein boshaftes Missverstehen« bei ihren Kritikern.
Volker Weidermann sieht das anders. Er habe den Eindruck, als bliebe von der Debatte über Eckharts Einladung »am Ende nur ein lockeres ›Och, die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Bisschen Antisemitismus ist vielleicht dabei, aber als Satirikerin ist sie doch brillant. Und vor allem: Satire darf alles‹.« Das sei ein ebenso grober wie fataler Fehler. mth