Nachruf

Sammler und Nonkonformist

Bernhard Purin (1963–2024) Foto: picture alliance / SZ Photo

Nachruf

Sammler und Nonkonformist

Erinnerungen an Bernhard Purin, den unerwartet verstorbenen Direktor des Jüdischen Museums München

von Ellen Presser  01.03.2024 11:59 Uhr

Völlig überraschend ist Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München, am 18. Februar verstorben. Er hinterlässt eine große Trauergemeinde von Kollegen und Kolleginnen aus Museumskreisen, Judaika- und Provenienzforschung. Ausstellungen, die Purin zu verantworten hatte, konnten große Zusammenhänge darstellen, wie die bis 17. März laufende Schau München Displaced – Der Rest der Geretteten belegt. Ein Thema, das ihn seit seiner Berufung zum Gründungsdirektor des Jüdischen Museums München 2002 immer wieder beschäftigte.

Doch ebenso interessierten ihn Sammlungen. Darum begann er im März 2007 mit der Eröffnungsausstellung Die jüdische Welt und die Wittelsbacher, einer »frühen Geschichte des Sammelns von Jüdischem, das immer auch eine Geschichte von Aneignung und Enteignung war«. Derzeit laufen die Vorbereitungen für das nächste große Vorhaben, die Ausstellung Münchner Jüdinnen und Juden im Porträt, die am 17. April eröffnet werden sollte. Und nun Stillstand, Schockstarre: Der leise, doch stets zielsicher und gern auch nonkonformistisch denkende Chef des in Quadratmetern gerechnet – im Vergleich zu den Jüdischen Museen in Berlin, Frankfurt und Wien – kleinen Jüdischen Museums in München ist nicht mehr.

Am 6. Oktober 2023 war Bernhard Purin 60 Jahre alt geworden, hatte Pläne, konnte aber auch schon auf ein ansehnliches Schaffen zurückblicken. Der gebürtige Bregenzer soll schon als Schüler mit der Kamera das damals noch nicht erschlossene jüdische Viertel von Hohenems durchstreift haben. Von 1985 bis 1990 studierte er Empirische Kulturwissenschaft und Neuere Geschichte in Tübingen und arbeitete 1990/91 am Aufbau des Jüdischen Museums Hohenems mit. Von 1992 bis 1995 wirkte Purin als Kurator am neu gegründeten Jüdischen Museum Wien. Die Ausstellung Beschlagnahmt. Die Sammlung des Wiener Jüdischen Museums nach 1938 wurde möglich, weil Purin während eines Forschungsaufenthalts an den »Central Archives for the History of the Jewish People« in Jerusalem das Inventarbuch des Jüdischen Museums fand und so die Vorkriegssammlung rekonstruiert werden konnte. Es war ein bahnbrechendes Projekt für Fragen der Provenienz und Restitution enteigneten jüdischen Guts.

Purin hatte seine eigene Art, Münchner Historie zu erzählen

1995 ging Purin nach Fürth. Er schaffte es, das Jüdische Museum Franken mit Dependancen in Fürth und Schnaittach in kürzester Zeit mit unkonventionellen Ausstellungsprojekten wie Feinkost Adam, satirischen Kommentaren zu klassischen Themen, bekannt zu machen. Wo immer er auch landete, gelangen ihm Funde, entdeckte er verloren geglaubte Objekte, die er nicht nur in Auktionskatalogen ausfindig zu machen wusste. Endgültig niedergelassen hat Purin sich 2002 mit dem Umzug nach München und stellte dort gleich mit seinem ersten mehrteiligen Projekt Sammelbilder – unter anderem zu Pringsheim, Thannhauser, Wallach – unter Beweis, wie vielseitig, manchmal auch prächtig sich jüdisches Leben in München bis zum Anbruch der NS-Zeit entfaltet hatte

Purin pflegte den Kontakt zu Sammlern. So erhielt das Museum 2021 Familienporträts, von Lenbach gemalt, aus dem Besitz der Kunsthändler-Familie Bernheimer.

Purin hatte seine eigene Art, Münchner Historie zu erzählen, großartig unter Beweis gestellt mit dem Projekt Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Braugeschichten. Der akribische Rechercheur räumte bei dieser Gelegenheit mit der Legende auf, das Hofbräuhaus sei von jüdischen Architekten erbaut worden. Maßgeblich beteiligte er sich an dem 2017 fertiggestellten Erinnerungsort für die Opfer des Olympia-Attentats im Olympia-Gelände und entwickelte mit seinem Team und in Kooperation mit einer Vielzahl anderer Institutionen vom Freilichtmuseum bis zum Sportgelände 2022 das Jahresprojekt »Zwölf Monate – Zwölf Namen«, das jeden Monat einen der 1972 Ermordeten vorstellte.

Die Stimme Bernhard Purins mit ihrem weichen, melodiösen Vorarlberger Klang wird künftig fehlen.

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025