Interview

»Russland ist wie eine durchgeknallte Ziege«

Wladimir Kaminer Foto: Jan Kopetzky

Der deutsch-russische Schriftsteller Wladimir Kaminer (Russendisko) geht mit seinen russischen Landsleuten wegen ihrer Zustimmung zur Politik Wladimir Putins hart ins Gericht. »Ich habe gedacht, dass die Vergangenheit, die Sowjetunion, jetzt abgearbeitet ist und dass die Menschen in meiner Heimat bereit sind für ein neues Leben«, sagte Kaminer dem Evangelischen Pressedienst. »Aber anscheinend haben sie die vergangenen zwei Jahrzehnte verplempert.«

Die Russen hätten sich schon immer die Zukunft als etwas vorgestellt, was mit ihnen nichts direkt zu tun hat, und diese Aufgabe an die Regierung weitergeleitet.

»Die Zukunft in der russischen Wahrnehmung ist etwas, was von allein kommt, aus der Ferne. Wie diese kommunistische Zukunft, auf die sie 70 Jahre gewartet haben. Dann haben sie festgestellt, sie kommt nicht, weiter warten hat keinen Zweck, und haben angefangen, auf diese kapitalistische Zukunft zu warten. Diesen einfachen Gedanken, dass es überhaupt keine Zukunft gibt, außer man macht sie selbst, haben sie nicht verinnerlicht«, bedauerte der Schriftsteller.

Öleinnahmen Mit den reichlich sprudelnden Öleinnahmen sei das russische Volk zwar ziemlich gut über die Jahre gekommen. »Aber wie die Erfahrung zeigt: Auf Dauer geht das nicht«, sagte Kaminer. Ein Land brauche ein Projekt, und das funktioniere nur mit den anderen zusammen.

»Aber wenn man keinen anderen hat, dann muss man, wie jetzt geschehen, den nordkoreanischen Diktator einladen, als vielleicht den einzigen Menschen auf der Welt, der diese russische Führung versteht. Das ist tragisch und komisch zugleich. Eigentlich der richtige Stoff für meine Geschichten«, sagte der 47-jährige Autor.

Für ihn sei sein Umzug 1990 aus der Sowjetunion in die DDR Teil der großen Geschichte gewesen, sagte Kaminer weiter. »Die Welt veränderte sich in meinen Augen, es ging in Richtung einer Welt ohne Grenzen, wo jeder hinfahren und arbeiten darf, wo er will.«

Er habe die ganzen 20 Jahre in der Überzeugung gelebt, dass sich seine Heimat – vielleicht mit kleinen Schritten – auch auf dem Weg zur europäischen Einigung befinde. »Insofern war dieses Jahr auch ein großer Rückschlag für mich, wo plötzlich mein Land wie eine durchgeknallte Ziege von diesem Weg abgebogen und in den Wald gelaufen ist. Aber ich glaube, sie kommen zurück!«

Putin Die Abkürzung durch den Wald hätten im vergangenen Jahrhundert auch schon andere europäische Länder gesucht. »Und heute kann man getrost sagen, bei beiden Abkürzungen, dem linken und dem rechten Projekt, hat es nicht geklappt.« Dann könne man eigentlich als vernünftiger Staat sagen, »vielen Dank, hatten wir schon, ist gescheitert, wir nehmen den gemeinsamen europäischen Weg«. Um einen gemeinsamen Weg der europäischen Entwicklung zu beschreiten, seien aber die ehemaligen KGB-Offiziere um Putin nicht geeignet.

Um demokratische Politik zu machen, müsse man mit Menschen, die einem misstrauen, reden und versuchen, diese zu überzeugen. Putin und seine Kollegen könnten aber nur Macht erhalten, sagte Kaminer. Um die Zukunft eines solchen großen Landes zu gewährleisten, reiche dieses Können aber nicht.

Trotzdem sei er vorsichtig optimistisch, dass sein Heimatland zur Vernunft zurückfindet, sagte Kaminer weiter. »Weil man in dieser globalen vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts keinen eigenen Weg gehen kann.« Es gehe nur miteinander oder gar nicht.

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025