Kino

Road-Movie der besonderen Art

Benji (Kieran Culkin) und David (Jesse Eisenberg): zwei Männer, die miteinander vertraut sind und sich mögen, von Temperament und Charakter her aber total verschieden sind. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) treffen sich in der Abflughalle des John-F.-Kennedy-Flughafens in New York. David ist nervös und angespannt, Benji hibbelig und freudig aufgeregt. Schon beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten aus »A Real Pain« tritt zutage, worauf der von Jesse Eisenberg auch inszenierte Film aufbaut und worum es darin geht: um zwei Männer, die miteinander vertraut sind und sich mögen, von Temperament und Charakter her aber total verschieden sind.

Die beiden sind Cousins, ungefähr gleich alt und jüdischer Herkunft. Eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte ihre kürzlich verstorbene Großmutter Dory. Sie wurde in Polen geboren und ist, wie sie zu sagen pflegte, dank tausend Wunder dem Holocaust entkommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte sie in die USA aus, wo sie sich eine neue Existenz aufbaute. Dory hat ihren Enkeln ab und zu von ihrer früheren Heimat erzählt, von ihrer dort noch lebenden Familie und dem Haus, in dem sie aufwuchs. Sie selbst aber ist nie wieder dorthin zurückgekehrt.

Auf nach Polen

Auch Benji und David kennen Polen bisher nur aus Erzählungen und von Fotos. Doch Dory hat ihnen genug Geld hinterlassen, weshalb sie sich von der ehemaligen Heimat ihrer Großmutter und damit einem Teil ihrer eigenen Herkunft ein eigenes Bild machen können. Sie fliegen nach Warschau. Dort schließen sie sich einer Reisegruppe an, die unter der Führung eines Engländers namens James (Will Sharpe) während einer mehrtägigen Tour historische Stätten jüdischen Lebens besichtigen will. Die Gruppe ist gemischt; die Teilnehmer stammen aus den USA oder Kanada, sind jüdisch und zum Teil polnischer Herkunft.

Nach dem ersten Kennenlernen besichtigt man in Warschau einige historische Stätten jüdischen Lebens, etwa das als »jüdischer Wohnbezirk« apostrophierte ehemalige Ghetto und das Jüdische Museum. In den Tagen danach reisen sie im Zug quer durchs Land. Dabei werden touristisch aufbereitete Orte abgeklappert, die in ziemlich jedem Reiseführer zur jüdischen Vergangenheit von Polen Erwähnung finden. Gedreht wurde an Originalschauplätzen, unter anderem auch im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek, wo bisher noch nie Dreharbeiten für einen Spielfilm stattgefunden haben.

Den Toten und den Lebenden Respekt zollen

Die Stimmung unter den Reisenden ist mal heiter, mal verhalten. Benji kommt innerhalb der Gruppe die Rolle eines »Klassenkaspers« zu. Er ist Single, aufgeweckt, charmant und sehr empfindsam. Er versteht es, Menschen zu begeistern und mitzureißen. Er bringt die Gruppe und James auf dem Friedhof nicht nur dazu, Steine auf die Grabmale zu legen, sondern animiert sie vor dem Denkmal des Warschauer Aufstands auch zu einer ausgelassenen Fotosession.

Zudem spricht er fast immer aus, was ihm gerade durch den Kopf geht. Etwa auf der Fahrt nach Lublin, dass er es als störend empfinde, auf einer historischen Besichtigungstour im Zug in der 1. Klasse zu sitzen und dieselbe Strecke zu fahren, die andere gut achtzig Jahre zuvor in Güterwagen eingepfercht bewältigen mussten. Benji hat aber auch eine andere, dunklere Seite, die seinen Optimismus und seine flammende Begeisterung urplötzlich in dumpfe Melancholie und tiefe Trauer verwandelt.

David sagt über Benji einmal, dass er ihn liebe und hasse. David ist verheiratet, hat einen Sohn - der im Film von Eisenbergs eigenem Sohn Banner Eisenberg gespielt wird - und arbeitet in der Werbung. Er ist zurückhaltend, pflichtbewusst und stets darum besorgt, was sich ziemt und was nicht. Man könnte ihn auch neurotisch nennen. David lässt sich in guten Momenten von Benji aus der Reserve locken, steigt mit ihm nachts verbotenerweise aufs Dach des Hotels, raucht mit ihm einen Joint und schaut zusammen mit seinem Cousin hinunter auf die leuchtende Stadt.

Manchmal aber werden ihm Benjis Spontaneität und das, was dadurch ausgelöst wird, zu viel. Dann geraten die beiden in Streit und schweigen sich böse an. Mitunter aber macht sich David auch ernsthafte Sorgen um Benji, der vor einer Weile in einer Klinik war. Nach dem Besuch eines KZs trennen sich die beiden von der Gruppe und machen sich auf den Weg zum Haus, in dem ihre Großmutter aufgewachsen ist; im Film ist schließlich das Haus zu sehen, in dem ihre Tante Dory lebte, bevor der Holocaust die Familie in die Flucht trieb. David und Benji wechseln mit den Menschen, die heute dort wohnen, ein paar Worte, betreten das Haus aber nicht und trollen sich wieder.

Improvisation ist Trumpf

»A Real Pain« ist nach »When You Finish Saving the World« der zweite Film von Jesse Eisenberg als Regisseur und Drehbuchautor. Die Idee dazu kam ihm während einer 2008 unternommenen Reise durch Polen, deren Eindrücke er in einem Theaterstück mit dem Titel »The Revisionist« verarbeitete, worin ein junger US-Amerikaner seine in Polen lebende ältere Cousine besucht. Der Stoff ließ Eisenberg danach nicht los. Es dauerte aber über 15 Jahre, bis er auf ein Inserat stieß, das zu einer »Holocaust Tour (mit Lunch)« in Polen einlud und ihm die Idee eines Road- und Buddy-Movies schenkte.

»A Real Pain« wurde mit vergleichsweise bescheidenem Budget als Autorenfilm realisiert. Die Story folgt den Stationen einer touristischen Tour. Die Figuren sind von real existierenden Personen inspiriert, die Eisenberg kennt; auch die des zum Judentum konvertierten Ruanda-Kanadiers Eloge und die des übereifrigen Philosemiten James. Der Film ist sichtbar »on the Road« entstanden. Die Kamera von Michal Dymek folgt den Regeln dokumentarischen Schaffens; vieles ist spontan entstanden, manches improvisiert. Nicht nur Kieran Culkin und Jesse Eisenberg überzeugen durch ihr authentisch wirkendes Spiel, sondern auch die Nebendarsteller:innen, etwa Will Sharpe, Jennifer Grey oder Kurt Egyiawan.

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