Genetik

Rheinland oder Kaukasus?

Chasaren auf dem Ritt nach Westen Foto: cc

Genetik

Rheinland oder Kaukasus?

Der amerikanische Forscher Eran Elhaik frischt die Chasaren-Hypothese wieder auf

von Ingo Way  22.01.2013 11:52 Uhr

Der Chasaren-Mythos ist nicht totzukriegen. Es handelt sich dabei um die Auffassung, die Juden Osteuropas stammten von dem kaukasischen Reitervolk der Chasaren ab, dessen Oberschicht im achten Jahrhundert d. Z. zum Judentum übergetreten war. Der österreichisch-ungarische Orientalist Hugo von Kutschera vertrat im 19. Jahrhundert die These, die Chasaren seien, nachdem die Mongolen ihr Reich zerstört hatten, nach Osteuropa gezogen und hätten dort das aschkenasische Judentum gebildet.

Obwohl diese These von der Wissenschaft als spekulativ und unplausibel abgetan wird, wurde sie im 20. Jahrhundert aus verschiedenen Gründen wieder aufgegriffen. Der Schriftsteller Arthur Koestler wollte 1976 mit seinem Buch Der dreizehnte Stamm durch den Rückgriff auf die Chasaren dem rassischen Antisemitismus den Boden entziehen. Stattdessen wurde Koestler triumphierend von arabischen und sonstigen Antisemiten zitiert, die endlich den Beweis gefunden haben wollten, dass die heutigen Israelis gar nicht von den Juden des Nahen Ostens abstammten und somit kein Recht auf das Heilige Land hätten.

In jüngster Vergangenheit wurde der Chasaren-Mythos von dem israelischen Historiker Shlomo Sand in seinem Buch Die Erfindung des jüdischen Volkes (2008) wieder aufgewärmt. Auch Sand ging es darum, ein quasi historisches Recht der Juden auf das Land Israel zu bestreiten.

Erbgut Nun meldete sich der amerikanische Genetiker Eran Elhaik von der Johns Hopkins University im Dezember 2012 mit einem Artikel im Fachblatt »Genome Biology and Evolution« zu Wort. Darin schreibt er, er habe durch Vergleich des Erbguts von 1287 Personen aus jüdischen und nichtjüdischen Populationen herausgefunden, dass das Genom der aschkenasischen Juden zu großen Teilen mit dem kaukasischer Volksgruppen übereinstimme und nur zu einem geringeren Teil mit dem nahöstlicher Völker.

Damit sei, glaubt Elhaik, die »Rheinland-Hypothese« widerlegt, welche besagt, Juden, die aus dem historischen Palästina vertrieben worden waren, hätten sich irgendwann im Rheinland niedergelassen und seien Anfang des 15. Jahrhunderts nach Osteuropa weitergezogen, wo sie die jiddische Sprache und Kultur begründet hätten. Die aschkenasischen Juden, so der gebürtige Israeli Elhaik, hätten ihre genetischen Wurzeln im Kaukasus und nicht im Nahen Osten.

Das widerspricht allerdings einer Studie des renommierten Humangenetikers Harry Ostrer. Der hatte vor einigen Jahren die DNA von 237 Aschkenasim, Sefardim und Mizrachim untersucht, die in New York, Seattle, Thessaloniki, Athen, Rom und Israel lebten. Dabei stellte sich heraus, dass Juden in genetischer Hinsicht ein »abgrenzbares Bevölkerungscluster« darstellen, so Ostrer. Zudem weise die genetische Spur auf gemeinsame Vorfahren vor 2000 Jahren im nahöstlichen Raum hin. Gemeinsamkeiten in der DNA gab es auch mit heutigen Palästinensern, Drusen und Beduinen in Israel.

Schnitzer Die Kritiker Elhaiks weisen darauf hin, dass dessen Datenbasis viel zu dünn sei, um Ostrers Studie zu widerlegen. Der Nahostwissenschaftler Seth Frantzman wies dem Genetiker in der Jerusalem Post überdies einen peinlichen Schnitzer nach. Elhaik behauptet in seinem Artikel, 90 Prozent aller Juden weltweit seien Aschkenasim. Dazu zitiert er eine Erhebung aus dem Jahr 2013, die sich allerdings lediglich auf Juden in den USA bezieht. Weltweit sind nur etwa 80 Prozent aller Juden Aschkenasim. Dies spreche, so Frantzman, nicht für die Seriosität Elhaiks.

Für die »Rheinland-Hypothese« spricht außerdem die Linguistik. Kein Sprachwissenschaftler würde bestreiten, dass das Jiddische in Grammatik und Wortschatz eindeutig eng mit dem Mittelhochdeutschen verwandt ist, wie es im 15. Jahrhundert im Rheinland gesprochen wurde. Elhaiks Behauptung, das Jiddische sei ursprünglich eine slawische Sprache gewesen, die erst später deutsche Elemente in sich aufgenommen habe, dürfte in Fachkreisen für erhebliches Kopfschütteln sorgen.

Auf Nachfrage der Tageszeitung Haaretz modifizierte Eran Elhaik seine Chasaren-These denn auch gleich wieder. »Das Genom der europäischen Juden ist ein Flickenteppich aus antiken Volksgruppen wie judaisierten Chasaren, griechisch-römischen Juden, mesopotamischen Juden und Bewohnern Judäas«, so der 32-jährige Forscher. Bei Antizionisten wird dennoch nur eines hängen bleiben: dass Juden in den Kaukasus gehören und nicht in den Nahen Osten.

Eran Elhaik: »The Missing Link of Jewish European Ancestry: Contrasting the Rhineland and the Khazarian Hypotheses«. Genome Biology and Evolution, Dezember 2012, S. 61–74

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025