Finale

Rest der Welt

Warum ich nicht auf meinem neuen Sofa sitzen kann

von Shira Silberstein  16.07.2020 10:55 Uhr

Irgendwie ist am Monatsende immer Ebbe in der Kasse gewesen – wieso nicht jetzt? Foto: Getty Images

Warum ich nicht auf meinem neuen Sofa sitzen kann

von Shira Silberstein  16.07.2020 10:55 Uhr

Also, nicht dass ich jetzt ein Riesenfan von Antwerpen bin oder so, aber eine Sache ist richtig toll hier, und zwar ist diese Stadt so was von billig! Meine Wohnung zum Beispiel habe ich für ’n Appel und ’n Ei gekauft. In jeder anderen Stadt hätte es mit derselben Kohle gerade mal für einen Garagenstellplatz gereicht.

Aber na ja, natürlich ist die Wohnung inzwischen etwas angeranzt. Durch die eine Wand sickert Wasser durch, wenn’s regnet, im Sommer herrschen tropische Temperaturen, weil die Wände nicht isoliert sind – auch müsste mal ein neues Sofa her. Aber irgendwie ist am Monatsende immer Ebbe in der Kasse.

Bohren Dachte ich zumindest. Denn als ich gestern nach Hause kam, wurde ich von durchdringendem Bohren und Rasseln begrüßt. Kurz darauf stieg ein Glasermeister mit brandneuen Fenstern aus dem Aufzug. »Wollen Sie zu mir?«, fragte ich völlig entgeistert. Ja, wollte er. Und so auch der freundliche Kühltechniker, der tags drauf an der Wohnungstür klopfte, um im Schlafzimmer eine Klimaanlage zu installieren. Und als sich dann noch zwei Lieferanten mit einem neuen Ledersofa durch die Wohnungstür zwängten, wurde es mir zu bunt.

Ich rief stehenden Fußes meinen Gatten an, der wie üblich nicht ranging. »Sprich!«, schnarrte ich auf seine Mailbox, »wo kommt auf einmal die ganze Kohle her? Ruf mich zurück!« Ich begann, unruhig in der Wohnung auf und ab zu tigern. Vor meinem inneren Auge tauchte das opulente Hochzeitsbuffet auf, zu dem wir neulich eingeladen waren. Links vom Buffet stand der Brautvater, angetan mit Smoking und einer elektronischen Fußfessel. Extra für die Simche hatte er kurz den Knast verlassen dürfen, wo er wegen irgendwelchen schmutzigen Diamantendeals einsaß.

Mafia Mein Mann hatte sich doch hoffentlich nicht mit der Antwerpener Diamantenmafia eingelassen? Um mit denen Kontakt zu knüpfen, reicht bekanntlich ein Gang zum Elternabend unserer Schule. Auf einmal habe ich einen Kloß im Hals und kann nur krächzend antworten, als das Telefon klingelt.

Mein Mann ist dran, und berichtet mir glückstrahlend von den paar tausend Kröten, die sein Arbeitgeber ihm überwiesen hat. Vielleicht wegen der vielen Überstunden oder so? Ich erinnere ihn, dass sein Arbeitgeber nun wirklich nicht die Spendierhosen anhat, dass die Buchhaltung seines Betriebs aus einem Haufen seniler Tattergreise besteht und bitte ihn, doch einmal ganz sanft nachzufragen, wer ihm den Haufen Kies überwiesen hat.

Das Ende dieser Geschichte können Sie sich wahrscheinlich denken: Ich schreibe diese Zeilen auf meinem angeranzten Wohnzimmerboden sitzend, denn das Sofa, die Sitzgruppe und auch der flauschige Teppich wurden heute Morgen wieder abgeholt. Ja, Sie ahnen es, einer der Tattergreise hat meinem Mann aus Versehen das Gehalt seines Chefs überwiesen.

Raten Netterweise lassen sie uns das in Raten abzahlen, sodass wir uns in den nächsten Monaten vorwiegend von Brotkrusten und Käserinde ernähren werden. Falls sie uns eine kleine Zuwendung für eine warme Mahlzeit zukommen lassen wollen – Sie wissen ja, wie Sie ich erreichen können. Vielen Dank im Voraus!

Netflix-Serie

Balsam für Dating-Geplagte? Serienhit mit verliebtem Rabbiner

»Nobody Wants This« sorgt derzeit für besonderen Gesprächsstoff

von Gregor Tholl  23.10.2024

Herta Müller

»Das Wort ›Märtyrer‹ verachtet das Leben schlechthin«

Die Literaturnobelpreisträgerin wurde mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

von Herta Müller  23.10.2024

Essay

Die gestohlene Zeit

Der Krieg zerstört nicht nur Leben, sondern auch die Möglichkeit, die Zukunft zu planen, schreibt der Autor Benjamin Balint aus Jerusalem anlässlich des Feiertags Simchat Tora

von Benjamin Balint  23.10.2024

Dokumentation

»Eine Welt ohne Herta Müllers kompromisslose Literatur ist unvorstellbar«

Herta Müller ist mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet worden. Lesen Sie hier die Laudatio von Josef Joffe

von Josef Joffe  23.10.2024

Literatur

Leichtfüßiges von der Insel

Francesca Segals Tierärztin auf »Tuga«

von Frank Keil  21.10.2024

Berlin

Jüdisches Museum zeigt Oppenheimers »Weintraubs Syncopators«

Es ist ein Gemälde der Musiker der in der Weimarer Republik berühmten Jazzband gleichen Namens

 21.10.2024

Europa-Tournee

Lenny Kravitz gibt fünf Konzerte in Deutschland

Der Vorverkauf beginnt am Mittwoch, den 22. Oktober

 21.10.2024

Geistesgeschichte

Entwurzelte Denker

Steven Aschheim zeigt, wie jüdische Intellektuelle den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts begegneten

von Jakob Hessing  21.10.2024

Heideroman

Wie ein Märchen von Wölfen, Hexe und Großmutter

Markus Thielemann erzählt von den Sorgen eines Schäfers

von Tobias Kühn  21.10.2024