Lesen

Rassismus und Möbelpacken

Lacht weiter: Assaf Gavron Foto: Alex Levak

Lesen

Rassismus und Möbelpacken

Von Stanislav Lem bis Assaf Gavron: Jüdisches beim 10. Literaturfestival Berlin

von Christian Buckard  20.09.2010 18:44 Uhr

Im Fokus des 10. Internationalen Literaturfestivals in Berlin, so versprechen die Veranstalter, stehe dieses Jahr Osteuropa. Leider ist das Festival, das noch bis zum 25. September läuft, für eine derart große Region entschieden zu klein. So wurde die Chance verpasst, sich nur einem Land ausführlich zu widmen. Weniger wäre mehr gewesen.

Immerhin fand am 19. September eine Diskussion zu Antisemitismus und Nationalismus in Ungarn statt. Die Schriftsteller György Dalos und György Dragomán sowie der Philosoph und Soziologe András Kovács sprachen darüber, wie gefährlich die Situation in Ungarn ist, nachdem die rechtsextreme Jobbik-Partei bei den letzten Parlamentswahlen im April zur drittstärksten Kraft des Landes wurde. Eine Partei, die ihren Hass auf Roma und Juden keinesfalls hinter Chiffren versteckt, sondern unmissverständlich und brutal Hetze betreibt.

Vergangenheit Kovács machte deutlich, dass es Nationalismus und Antisemitismus auch im realsozialistischen Ungarn gegeben habe. Jetzt könne man diesen Neigungen freien Lauf lassen. Interessanterweise sei der Antisemitismus bei Jüngeren und Älteren gleich stark vertreten. »Die Handhabung der Geschichte«, so Kovács, »was in Deutschland ›Vergangenheitsbewältigung‹ heißt, hat in Ungarn überhaupt nicht stattgefunden.«

Das hohe Wahlergebnis der Rechtsextremen, betonte Dalos, sei auch dadurch entstanden, dass 50 Prozent der Ungarn nicht zur Wahl gegangen seien. »Die Tatsache, dass solche rechtsextremistischen Parteien ins Parlament kommen«, so der Romancier, »zeugt nicht von einer hohen politischen Kultur. Aber das ist nicht so gefährlich wie die Tatsache, dass dies der Mehrheit der Gesellschaft praktisch egal ist.«

Aus Israel kommen dieses Jahr nur zwei Gäste zum Literaturfestival: der Dichter Israel Bar Kohav sowie der Schriftsteller und Musiker Assaf Gavron. Dieser hat in Deutschland bereits seinen Nahost-Thriller Ein schönes Attentat (2008) und den Science-Fiction-Roman Hydromania (2009) vorgelegt. Sein dieser Tage endlich auch hierzulande erschienener Roman Alles Paletti – der Titel deutet es bereits an – thematisiert nicht den Nahost-Konflikt. Vielleicht ist das Buch auch deswegen bislang Gavrons größter Erfolg in Israel.

Umzugshelfer Der Israeli hatte Alles Paletti bereits 2003 ausländischen Verlagen angeboten. Schnell musste er jedoch erkennen, dass eine Geschichte über israelische Umzugshelfer in New York, die sich mit der Mafia anlegen, nicht dem entspricht, was sich amerikanische oder europäische Verlage von einem israelischen Schriftsteller erhoffen. Mehr noch: Israelis, die keine Uzis, sondern Möbel tragen – und währenddessen Witze reißen –, scheinen Verleger und Rezensenten geradezu in Verwirrung zu stürzen.

»In meinem Buch«, sagt Gavron, »fragt ein amerikanischer Jude die israelischen Möbelpacker: ›Nach 3.000 Jahren leidvoller Geschichte machen Juden jetzt so etwas? Möbel schleppen?!‹ Und letzte Woche hat mich hier in Berlin ein Journalist gefragt: ›Also wirklich, wieso machen Juden nach 3.000 Jahren so eine Arbeit?‹« In dieser Frage, sagt Gavron, liege fast so etwas wie eine Art umgekehrter Rassismus. »Als ob alle Juden Schriftsteller und Intellektuelle sein müssten! Warum dürfen Israelis nicht alle denkbaren Arbeiten machen?«

Alles Paletti ist nicht nur ein sehr israelischer Roman, er ist vor allem ein ungemein rasantes, witziges und spannendes Roadmovie. Gavron ist das Lachen indes nicht vergangen: Sein nächster tragikomischer Roman handelt von der Gründung einer illegalen Siedlung in den besetzen Gebieten.

Abgesehen von Begegnungen mit Gavron oder Bar Kohav lädt das diesjährige Literaturfestival auch zu Lesungen aus den Werken Stanislaw Lems und Tadeusz Borowskis ein. Zudem präsentiert es »literarische Erkundungen aus dem Leo-Baeck-Institut« sowie den kanadischen Autor Yann Martel, der über den »Versuch, einen Roman über den Holocaust zu schreiben« berichtet.

www.literaturfestival.com

Schweiz

Bührle-Sammlung behält Gauguin-Bild nach Vergleich mit Erben

Nach der Flucht aus Nazi-Deutschland mussten viele Juden Kunstbesitz unter Wert verkaufen, um ihr Leben zu finanzieren. Das hat bis heute Auswirkungen auf Kunstsammlungen - etwa in Zürich

von Christiane Oelrich  25.06.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  24.06.2025

Kolumne

Diasporajuden, löscht die Warn-App!

Was das jüdische Volk jetzt wirklich braucht: Wenigstens einer pro Familie sollte durchschlafen

von Ayala Goldmann  24.06.2025

Berlin

Ehrung für zwei Meister: »The Simon and Garfunkel Story« auf 18 deutschen Bühnen

Selbst Art Garfunkel selbst kennt die Show. Was hält er davon?

von Imanuel Marcus  24.06.2025

Berlin

»Manchmal war ich einfach nur erschöpft«

Schon als Kind war Scarlett Johansson von »Jurassic Park« begeistert. Nun erfüllt sich ihr Traum, selbst Teil des Franchise zu sein – doch die Dreharbeiten waren anstrengender als gedacht

 23.06.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Reif, reifer, Reifeprüfung: Warum ich jedes Jahr Abitur mache

von Nicole Dreyfus  22.06.2025

Lesen!

Menahem Pressler

Ein Jugendbuch schildert das Jahrhundertleben des jüdischen Pianisten

von Maria Ossowski  22.06.2025

Aufgegabelt

Schoko-Babka

Rezepte und Leckeres

 22.06.2025

Literatur

Die Kunst, das Opfer und die Ministerin

In seinem Schlüsselroman nimmt Jonathan Guggenberger den Antisemitismus im Kulturbetrieb aufs Korn

von Ralf Balke  22.06.2025