Kunst

Polizeischutz für den israelischen Pavillon?

Israels Pavillon in Venedig Foto: Biennale

Die Israelin Yael Bartana hat es gut. Zusammen mit dem Türken Ersan Mondtag vertritt die in Afula geborene Multimedia­künstlerin Deutschland auf der Biennale in Venedig. Die türkische Kuratorin hat das so entschieden. Wow, was für eine tolle Kunstdiplomatie können die Deutschen!

Keine Angriffsfläche bietet auch Ydessa Hendeles, in Marburg geborene und in Kanada aufgewachsene Tochter von Auschwitz-Überlebenden. Die international hochgeschätzte Alleskönnerin – Künstlerin, Galeristin, Mäzenin – bekommt eine Soloshow auf der 60. Kunstbiennale (20. April bis 24. November) im Rahmen der »Collateral Events« genannten (Ausstellungs-)Projekte. Ihre politische Präsentation »Grand Hotel« konzipiert Hendeles vor dem Hintergrund ihrer Familiengeschichte.

Ruth Patir hat es nicht gut. Sie soll Israels Pavillon auf der Jubiläumsbiennale bespielen. Doch Israel-Boykotteure wollen das verhindern: »Wir, die Unterzeichnenden, fordern den Ausschluss Israels von der Biennale in Venedig.« So beginnt der offene Brief der Initiative »Art Not Genocide Alliance« (ANGA). »Kein Völkermord-Pavillon auf der Venedig Biennale« lautet der Schlusssatz des auf die Genozid-Vokabel fixierten Schreibens.

Es sei »inakzeptabel«, so ANGA, »Kunst aus einem Staat zu präsentieren, der gegenwärtig Gräueltaten gegen die Palästinenser*innen in Gaza ausführt«. Mit mehr als 21.000 wurde bei Redaktionsschluss die Zahl derer angegeben, die damit Patir das Ausstellungsrecht entziehen wollen. Israel sei »glaubhaft des Völkermords« angeklagt, so die Argumentation. Im Übrigen greife Israel Gaza »seit vielen Jahrzehnten« an, und »jede Arbeit, die den Staat Israel repräsentiert«, sei »eine Befürwortung seiner völkermörderischen Politik«. Das wird Patir also unterstellt? Und was soll »Kunst aus einem Staat« heißen? Ist diejenige Bartanas, die in Berlin und Tel Aviv lebt, nicht folgerichtig auch Kunst aus Israel?

Die Biennale reagiert sachlich. Alle von Italien anerkannten Nationen dürfen sich für die Teilnahme bewerben, heißt es. Israel oder Iran auszuschließen, werde nicht erwogen. Weil es bei den Verfassern des offenen Briefes offenbar Informationsdefizite gibt, zumindest aber ein falscher Eindruck von ihnen erweckt worden sein könnte, weist man zudem darauf hin, dass 2022 nicht die Biennale Russlands Teilnahme verbot, sondern vielmehr die russischen Kuratoren 2022 selbst Abstand von der Veranstaltung nahmen.

Ruth Patir ist hierzulande noch eher unbekannt. 2021 verzeichnete die in New York geborene Multimediakünstlerin und Filmemacherin, die dieses Jahr ihren 40. Geburtstag feiert und derzeit in Tel Aviv lebt, dank der Züricher Braverman Gallery ihre erste Einzelschau in Europa. In ihrer Ausstellungsbiografie sticht unter anderem das MoMA ins Auge. Das Centre Pompidou besitzt Arbeiten. Außerdem fiel die Künstlerin der interdisziplinären Kunstorganisation Kadist auf, die unter anderem eine Gegenwartskunstsammlung aufbaut, mit dem gefeierten Francis Alÿs zusammenarbeitete und mit der arabischen Sharjah Art Foundation.

Patirs Venedig-Auftritt kuratiert Mira Lapidot, seit 2021 Chefkuratorin am Tel Aviv Museum of Art, die zuvor am Israel Museum in Jerusalem Lieblinge der Kunstszene wie Ai Weiwei, Christian Boltanski oder Julian Rosefeldt gezeigt hat, gemeinsam mit Tamar Margalit. Letztere war am MoMA tätig, ist nun Kuratorin am CCA Tel Aviv-Yafo und mit der Aufgabe betraut, dessen Programm weiter auszubauen.

Unter denjenigen, die Ruth Patir in Venedig verhindern wollen, sind zahlreiche Kollegen – Künstler wollen also Künstler ausschließen. Steht auch ihre Anzahl in keinem Verhältnis zur Prominenz – neben Tania Bruguera, Nan Goldin oder Mark Leckey finden sich kaum Berühmtheiten –, so drängt sich vielen die Frage nach der Sicherheit auf: Muss Israels Pavillon jetzt unter Polizeischutz gestellt werden? Und: Geht es überhaupt noch um Kunst – was die Israel-Boykotteure mit dem Namen ANGA suggerieren wollen?

Interview

»Es findet ein Genozid statt« – »Israel muss sich wehren«

Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad über ihre langjährige Freundschaft, was sie verbindet – und was sie nach dem 7. Oktober 2023 trennt

von Philipp Peyman Engel  08.06.2025 Aktualisiert

TV-Tipp

Das Schweigen hinter dem Schweinderl

»Robert Lembke - Wer bin ich« ist ein kluger Film über Verdrängung, Volksbildung und das Schweigen einer TV-Legende über die eigene Vergangenheit. Nur Günther Jauch stört ein wenig

von Steffen Grimberg  08.06.2025

Rheinland-Pfalz

»Aus Beutebeständen« - NS-Raubgut in rheinland-pfälzischen Museen

Viele kleine Museen in Rheinland-Pfalz haben bisher nicht danach geforscht, ob NS-Raubgut in ihrem Besitz ist. In den Sammlungen von vier dieser mehr als 400 Museen sah eine Kunsthistorikerin nun genauer nach

von Norbert Demuth  06.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  06.06.2025 Aktualisiert

Berlin

Dokumentarfilm »Don’t Call It Heimweh« über Margot Friedländer

Die Dokumentation von Regisseur Thomas Halaczinsky zeigt Friedländers erste Reise aus New York nach Berlin im Jahre 2003. Es war ihre erste Fahrt in die Heimatstadt nach 60 Jahren

 05.06.2025

Bildung

Mehr als nur zwei Stunden Reli

Jüdischer Religionsunterricht muss attraktiver werden und auch Kinder erreichen, die keine jüdische Schule besuchen. Was kann konkret getan werden?

von Uri R. Kaufmann  05.06.2025

Wissenschaft

Wie die Jerusalemer Erklärung Antisemitismus verharmlost

Kritiker der IHRA-Antisemitismusdefinition behaupten gerne, die konkurrierende Jerusalemer Erklärung sei klarer und kohärenter. Doch das Gegenteil ist der Fall

von Ingo Elbe, Sven Ellmers  05.06.2025

Dresden

»Tiefgang mit Witz«: Erste Lesung des Dresdner Stadtschreibers Alexander Estis

Der jüdische Autor schreibe heiter, ironisch, grotesk und überrasche mit originellen Beobachtungen, so die Stadtverwaltung

 04.06.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Tabellenfragen: Was hat die Jewro mit der Bundesliga gemeinsam?

von Katrin Richter  04.06.2025